Tech-Giganten drängen in den Gesundheitsmarkt

Der Gesundheitsmarkt wird für Tech-Giganten immer interessanter. (Foto: everythingpossible/123rf.com)

Ob Amazon, Apple, Microsoft oder Samsung und Tencent. Große Technologiekonzerne drängen immer stärker in den Gesundheitsmarkt. Das zeigt die Bestandsaufnahme eines Forschungsteams unter Leitung der Ethikerin Christiane Woopen.

Die Wissenschaftlerin hat im Auftrag der Bertelsmann Stiftung das Angebot an medizinischen Produkten und Dienstleistungen von 16 der weltgrößten Digitalunternehmen unter die Lupe genommen. 13 dieser Unternehmen waren Ende 2021 in der Rangliste der 100 wertvollsten Konzerne nach Börsenwert vertreten.

Die Aktivitäten und Geschäftsfeldern der Unternehmen sind sehr vielfältig. So gibt es beispielsweise Anwendungen für den individuellen Gebrauch, wie etwa Fitnessuhren oder Ernährungs-Apps. Darüber hinaus spielen Angebote für Institutionen und Fachkräfte in der Gesundheitsbranche eine immer wichtigere Rolle. Dazu gehören zum Beispiel Softwarelösungen für die Diagnostik oder Plattformen für die teaminterne Vernetzung. Auch Cloud-Lösungen zum Speichern, Verwalten, Auswerten und Teilen von Daten sind weit verbreitet. Einige Unternehmen stellen sogar selbst Gesundheitsleistungen zur Verfügung. Sie betreiben Online-Apotheken oder produzieren und vertreiben Arzneimittel. Vereinzelt bieten die Konzerne auch Krankenversicherungen an oder eröffnen telemedizinische Kliniken. Gemeinsam haben alle diese Unternehmen ihr Engagement in Forschung und Entwicklung mit Gesundheitsbezug.

Chance mit Bedacht nutzen

„Im öffentlichen Bewusstsein ist es noch gar nicht so präsent, wie stark die Tech-Giganten inzwischen im Gesundheitsbereich aktiv sind. Dabei wäre es wichtig, sich mit ihrem wachsenden Einfluss auseinanderzusetzen“, sagt Thomas Kostera, Gesundheitsexperte der Bertelsmann-Stiftung. „Dank ihrer Innovationskraft stellen sie einerseits eine große Chance für die digitale Transformation von Gesundheitssystemen dar. Andererseits birgt die marktbeherrschende Stellung der Digitalkonzerne erhebliche Herausforderungen für das Gemeinwohl etwa in Bezug auf die Nutzung von Daten oder den gleichberechtigten Zugang zu medizinischen Leistungen“, warnt Kostera.

Ethische Standards wahren

„Tech-Giganten können durch ihre Produkte, Services und Know-how dazu beitragen, die Prävention von Erkrankungen zu fördern, die digitale Gesundheitsversorgung sektorenübergreifend und patientenzentriert weiterzuentwickeln und den Aufbau eines lernenden Gesundheitssystems zu unterstützen“, ist Christiane Woopen, Professorin für Life Ethics an der Universität Bonn, überzeugt. Diese Potenziale sollten genutzt werden. Die Wissenschaftlerin mahnt gleichzeitig die Wahrung ethischer Standards an. Es gelte, diese Standards durch eine risikoadäquate Regulierung teils noch abzusichern.

Politik und Gesellschaft müssen sich nach Einschätzung der Experten darauf verständigen, wie sich Digitalkonzerne am besten in die bestehenden Gesundheitsstrukturen einbinden lassen. Die Bestandsaufnahme zeigt, dass mittlerweile jedes der betrachteten Unternehmen über Partnerschaften, Investitionen oder Akquisitionen mit dem Gesundheitssektor verbunden ist. Die Gesundheitsbranche ist ein Wachstumsmarkt. Die Experten gehen daher davon aus, dass die Unternehmen ihre Aktivitäten kontinuierlich ausweiten werden. Das könnte zum Aufbau von Parallelstrukturen zum bestehenden Gesundheitssystem führen, so die Befürchtung.

„Der Umgang mit den Tech-Giganten ist für die Gesundheitspolitik zweifellos eine Gratwanderung. Ohne ihre Beteiligung droht ein kaum einholbarer Rückstand bei der digitalen Transformation“, so Kostera. Doch dabei dürften die Eckpfeiler des Gesundheitssystems, wie das Solidarprinzip und das Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen und Patienten, nicht ins Wanken geraten. 

Klarer Rahmen erforderlich

Die ExpertInnen raten deshalb, dass die deutsche und europäische Gesundheitspolitik zunächst einen klaren regulativen Rahmen schaffen. Ein solcher Rahmen sollte definieren, nach welchen Voraussetzungen und nach welchen Regeln Kooperationen mit Tech-Unternehmen möglich sind und wie sich deren Innovationen nutzbringend integrieren lassen. Gleichzeitig sollte eine gesellschaftliche Debatte stattfinden, an welchen Werten und ethischen Leitplanken sich die digitale Transformation des Gesundheitswesens orientieren sollte.

Eine zentrale Rolle spielt dabei nach Einschätzung der Fachleute der Umgang mit Daten zu. Dabei gilt es, eine monopolartige Nutzung durch einzelne Akteure zu verhindern. Das geplante Gesundheitsdatennutzungsgesetz muss daher klare Vorschriften für die Sammlung und Weitergabe von Daten enthalten, die auch die Tech-Konzerne befolgen müssen. Gleiches gilt für den geplanten Europäischen Gesundheitsdatenraum. Darüber hinaus muss der Missbrauch von gesundheitsbezogenen Daten verhindert werden. Nicht zuletzt ist es essenziell, dass Verantwortliche im Gesundheitssystem und in Ministerien und Behörden ihre Digitalkompetenz ausbauen, um neue Technologien besser zu verstehen und bewerten zu können.