Bei der optimalen Wundversorgung könnte künftig künstliche Intelligenz (KI) helfen. Ein Student arbeitet an einer smarte Software-Lösung für die optimale Versorgung chronischer Wunden. Vor allem in der Altenpflege könnte eine solche Lösung den Heilungsverlauf verbessern und das Personal entlasten.
Der Student Julien Maarten Akay entwickelt im Rahmen seines Forschungsmasterstudiums Data Science an der FH Bielefeld die smarte Software. Unterstützt wird Akay dabei von dem Paderborner Software-Spezialisten Connext Communication GmbH.
Gerade in der Altenpflege sind die Pflegenden nicht selten mit chronischen Wunden konfrontiert, wie sie etwa durch Bettlägerigkeit entstehen können – Stichwort: Dekubitus. Diese Art der Wunden verschlimmern sich, wenn sie nicht oder nicht richtig behandelt werden. „Nur etwa 20 Prozent aller chronischen Wunden, mit denen die Pflegenden in der ambulanten Altenpflege konfrontiert werden, werden adäquat behandelt“, zitiert Julien Maarten Akay eine aktuelle Untersuchung. Die Pflegekräfte kämen schnell an Grenzen angesichts der Vielfalt der Wundverläufe, der ohnehin hohen Arbeitsbelastung und des demografischen Wandels, der immer ältere und gebrechlichere Menschen hervorbringen, deren Wunden nur noch sehr langsam heilen.
Bei seinem Projekt „Assistenz bei der Wundversorgung mittels Künstlicher Intelligenz zur Wundanalyse, -einschätzung und Versorgung“ wird Akay von Prof. Dr.-Ing. Wolfram Schenck, Professor für das Lehrgebiet Ingenieurinformatik im Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik, betreut. Seit drei Semestern forscht der Studierende inzwischen daran und stellte seine Ergebnisse jetzt auf einem Ortstermin in Paderborn vor.
KI für Zweitmeinung in der Wundversorgung
Welche Vorteile KI in der Wundversorgung bringen kann? Akay nennt ein Beispiel: „Eine Pflegekraft entdeckt eine neue Wunde, macht wie üblich per Smartphone oder Tablet ein Foto und hinterlegt es in Vivendi. Die Versorgung richtet sich nun nach der Art der Wunde, aber die ist leider nicht ganz eindeutig zu erkennen. Hier könnte die KI einspringen, das Foto in der App analysieren und jeder Wundart eine Wahrscheinlichkeit zuordnen: zu 88 Prozent ein Druckgeschwür, zu 7 Prozent ein Ulcus Cruris, zu zwei Prozent ein diabetisches Fußgeschwür usw. Auf diese Weise erhält die Pflegekraft eine zweite Meinung, um Art und Ausmaß der Wunde noch besser diagnostizieren zu können und über die weitere Behandlung zu entscheiden.
Yvonne Weber, Produktmanagerin bei Connext Communication, hält den Einsatz von KI in der Pflege für hilfreich: „Die Wundversorgung in der Pflege ist hochprofessionalisiert. Das zeigt der Einsatz von speziell ausgebildeten Fachkräften, den Wundexpertinnen und -experten. Ein Assistenzsystem, das Vorschläge für die Analyse und Beurteilung der Wunde macht, kann bei Entscheidungen zusätzlich unterstützen und die Pflegenden entlasten.“ Nun soll das Assistenzsystem weiterentwickelt werden. Weber hofft, dass die Pflegekräfte können das Assistenzsystem nach Abschluss des Projekts auch tatsächlich in ihrem Arbeitsalltag einsetzen. Das würde tausenden Pflegekräften in ganz Deutschland helfen, ist sie sich sicher.
Anonymisierte Patientendaten für das Training
Das Unternehmen bietet dem jungen Forschenden nicht nur seine fachliche Unterstützung, sondern beteiligt sich auch mit anonymisierten Patientendaten am Forschungsmaster: In der Pflege entstehen während der Wunddokumentation mit Vivendi reale Bild- und Textdateien, die Julien Maarten Akay für das Projekt zur Verfügung stehen. „Bei uns steht für Forschungszwecke ein abgegrenzter und selbstverständlich anonymisierter Datensatz bereit, den wir genau für solche Projekte nutzen dürfen“, berichtet Björn Gorniak, Produktmanager bei Connext und Projektverantwortlicher. Für das Training einer KI seien solche große Datenmengen unerlässlich. Akay trainiert nun sein System mit diesen Daten, damit die KI den Ist-Zustand einer Wunde feststellen, und nach und nach auch Muster erkennen kann. Das Ziel: Die KI soll Befunde bestimmten Wundarten zuordnen lernen. Und das ist nicht immer einfach, kann doch eine Wundart auch verschiedene Ursachen haben. „Zum Beispiel kann ein Ulcus cruris, also ein Unterschenkelgeschwür, die Folge einer Venenschwäche oder einer arteriellen Verschlusskrankheit sein. Je nach dem ist eine andere Behandlung erforderlich“,
Bei der Erkennung des Ist-Zustands der Wunde soll es nicht bleiben – die KI soll noch mehr leisten: „Ziel ist es, auch den Verlauf der Wunde zu berücksichtigen und dann aus Historie, Ist-Zustand und textlicher Wunddokumentation Handlungsvorschläge zu generieren“, sagt Julien Maarten Akay. Dann könnte doch die Software die Entscheidung komplett übernehmen? „Das stellt man sich vielleicht allgemein so vor, aber das ist weder gewollt noch sinnvoll“, sagt Björn Gorniak. Dazu seien die Pflegekräfte auch weiterhin am besten geeignet.