Simulation für weniger Herzeingriffe bei Kindern

Eine Computersimulation könnte künftig dabei helfen, die Behandlung von Kindern mit angeborenen Herzfehlern zu verbessern und ihnen einige Eingriffe zu ersparen. Bislang müssen diese Kinder oft viele belastende Untersuchungen und Eingriffe über sich ergehen lassen. Einige davon erweisen sich im Nachhinein als überflüssig. Fraunhofer-Forscher haben jetzt eine Software entwickelt, mit denen sich bestimmte Interventionen bereits im Vorfeld simulieren lassen. Erste Erfahrungen zeigen, dass man dadurch künftig auf manch einen Eingriff verzichten könnte.

Wenn Kinder mit einer Aortenisthmusstenose geboren, ist die Aorta so stark verengt, dass früher oder später lebensgefährliche Herzprobleme drohen. Ein solcher Herzfehler lässt sich heute gut behandeln, beispielsweise durch das Einführen einer Gefäßstütze (Stent). Dazu sind jedoch oft – verteilt über die Jahre – mehrere Eingriffe nötig, was eine hohe Belastung für das betroffene Kind und die Eltern ist. Die neue Software des Fraunhofer-Institut für Bildgestützte Medizin MEVIS  in Bremen kann verschiedene Arten von Interventionen simulieren und ermöglicht dadurch einen direkten und schnellen Vergleich zwischen ihnen. Dadurch kann zum einen die Qualität der Therapie verbessert und zum anderen die Notwendigkeit eines Eingriffs erwogen werden. So manche Operation könnte den jungen Patienten erspart bleiben. Die Entwicklung der Software erfolgte im Rahmen des EU-Projekts Cardioproof, das Ende 2016 abgeschlossen sein wird.

Simulation am Rechner

Ausgangspunkt für die Rechnersimulation sind Bilder von den Herzen der Patienten, die ein Magnetresonanz-Scanner (MR-Scanner) erstellt. Diese Aufnahmen zeigen die Form der Gefäße und den Blutfluss. „Daraus können unsere Algorithmen ermitteln, welche Blutdruck-Verhältnisse dort herrschen“, erläutert Dr. Anja Hennemuth, Forscherin bei Fraunhofer MEVIS. Wichtig sei unter anderem, wie stark sich der Blutdruck vor und hinter einer Gefäßverengung unterscheide. Auf der Basis dieser sogenannten Druckfeldsimulation können die Forscher verschiedene Arten von Interventionen im Rechner nachbilden und abschätzen, welche Auswirkungen der jeweilige Eingriff hätte.

So lässt sich zum Beispiel ein virtueller Ballonkatheter aufblasen und zu prüfen, wie sich das auf Blutfluss und Blutdruck auswirken würde. Auch das Einsetzen verschiedenartiger Gefäßstützen kann am Rechner durchgespielt werden. Mit diesem „virtuellen Stenting“ können die Wissenschaftler ermitteln, welches Stent-Modell am besten geeignet ist und an welcher Stelle es positioniert werden sollte. „Mit Hilfe unserer Software können die Mediziner fundierter entscheiden, welche Art von Eingriff am günstigsten ist, ob man ihn auf einen späteren Zeitpunkt verschieben sollte und ob eine Intervention überhaupt nötig ist“, so Hennemuth.

Praxistauglichkeit getestet

Das Projekt Cardioproof hat zum Ziel, ein praxistaugliches System für den klinischen Einsatz zu entwickeln. „Wir wollten die Methode so gestalten, dass sie für den Ablauf im Krankenhaus nutzbar ist“, betont Hennemuth. Dazu haben die Bremer Experten eng mit den am Projekt beteiligten Kliniken zusammengearbeitet. Unter anderem untersuchten sie, wie sich die neue Software am besten in die Abläufe in den Krankenhäusern integrieren lässt. Auch die Nutzeroberfläche wurde in enger Abstimmung mit den Ärzten entwickelt und getestet.

In klinischen Studien am Deutschen Herzzentrum in Berlin haben die Experten bereits überprüft, wie realitätsgetreu die Computersimulationen sind. Dazu wurden die jungen Herzpatienten nach dem Eingriff nochmals per MR-Scanner untersucht. Dadurch ließen sich die Blutströme vor und nach der Intervention erfassen und mit den Simulationen abgleichen. Das Ergebnis: Die Software sagt die Blutströme und -drücke hinreichend genau voraus.

Entscheidungshilfe in einer Stunde

Mit Hilfe der webbasierten Software kann ein Arzt innerhalb von 30 Minuten den Blutfluss und Blutdruck in der Aorta rekonstruieren. Anschließend lässt sich virtuell ein Eingriff durchspielen, dieses Ergebnis liegt in der Regel nach einer weiteren halben Stunde vor. „Wir haben die Eignung für die klinische Praxis gezeigt“, so Hennemuth und führt aus: „Die nächsten Schritte wären Qualitätssicherung, Zulassung und Überführung in eine kommerzielle Lösung.“ Ein entsprechendes Anschlussprojekt ist bereits von Lynkeus, einem der Cardioproof-Industriepartner, bei der EU beantragt worden.

Ein weiterer Projektpartner hat übrigens bereits ermittelt, dass die Computersimulationen nicht nur die Belastung für Kinder und Eltern senkt, sondern auch Kosten fürs Gesundheitssystem spart. Die London School of Economics analysierte dazu genau, welchen finanziellen und organisatorischen Nutzen das neue Verfahren gegenüber der derzeitigen Praxis haben könnte. Das Ergebnis: Da die Software die Zahl von Komplikationen und Nachfolgebehandlungen verringern dürfte, könnten die Behandlungskosten pro Patient im Idealfall um bis zu zehn Prozent sinken.