Säuglinge: Auffällige Bewegungsmuster per App erkennen

Eine App soll künftig dabei helfen, auffällige Bewegungsmuster bei Säuglingen zu erkennen. (Foto: belchonock/123rf.com)

Auffällige Bewegungsmuster bei Säuglingen können ein Hinweis auf neurologische Störungen sein. Eine App soll schon bald dabei helfen, solche Bewegungen zu analysieren und Kinder- und JugendärztInnen bei der Erkennung von Entwicklungsauffälligkeiten unterstützen.

An der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, startet jetzt die „ScreenFM“-Studie. Die Forschenden Forscher entwickeln und evaluieren eine App, um spontane Bewegungsmuster, sogenannte Fidgety Movements (FM), von Säuglingen im Alter von drei bis fünf Monaten zu analysieren. Ziel ist es, Bewegungsstörungen zu erkennen. Denn sie können oft auch auf andere Entwicklungsauffälligkeiten hinweisen. In dem Projekt arbeiten WissenschaftlerInnen des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, der Universität zu Lübeck, des Digital-Health-Unternehmens Motognosis sowie von YOUSE und Kaasa solution über einen Zeitraum von 32 Monaten zusammen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Vorhaben mit 1,5 Millionen Euro.

Rund fünf Prozent der Kinder betroffen

Jährlich kommen in Deutschland rund 800.000 Kinder zur Welt. Rund fünf Prozent dieser Kinder sind von vorübergehenden oder dauerhaften Bewegungsstörungen betroffen. Sie zeigen häufig auch Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten, Einschränkungen des Hör- und Sehvermögens oder andere Entwicklungsauffälligkeiten. Besonders stark betroffen sind Frühgeborene und Kinder, die mit Geburtskomplikationen zur Welt gekommen sind.

Aufwendige Bewegungsanalyse

Auffällige Bewegungsmuster im Säuglingsalter können ein Hinweis auf neurologische Störungen sein. Es ist daher sinnvoll, sie zu beobachten und gegebenenfalls zu behandeln. Um frühzeitig eine Therapie einzuleiten und somit Einschränkungen durch Bewegungsstörungen zu verringern, ist neben einer ärztlichen Untersuchung eine Bewegungsanalyse wichtig für die Diagnostik. Eine solche Untersuchung ist jedoch sehr zeitaufwendig und lässt sich bislang nur in spezialisierten Einrichtungen durchführen. Die Analyse der Videoaufnahmen und die Dokumentation dauern bis zu einer Stunde. Die videogestützte Untersuchungsmethode ist jedoch besonders geeignet, um die Entwicklung einer schweren Bewegungsstörung, zum Beispiel einer Zerebralparese, frühzeitig zu erkennen.

„Die Untersuchung von Bewegungsmustern ist bei allen Säuglingen wichtig, nicht nur bei Frühgeborenen“, sagt Prof. Dr. Ute Thyen, Studienleiterin ScreenFM, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck. „Insbesondere bei Kindern mit Risikofaktoren während der Schwangerschaft der Mutter, bei der Geburt oder in den ersten Lebenswochen seien die Eltern und behandelnden Ärztinnen und Ärzte besorgt, dass sich Auffälligkeiten in der Entwicklung zeigten.

App soll Untersuchung erleichtern

Im Rahmen Projektes entwickeln die Forschenden daher eine App, um die neurologische Untersuchung von Säuglingen zu erleichtern. Dafür filmen sie die spontanen Bewegungen von Säuglingen im Alter von drei bis fünf Monaten und analysieren sie anschließend mithilfe von Algorithmen. Dabei kommt die Amsa-Technologie des Digital-Health-Unternehmens Motognosis zum Einsatz, die mittels 3D-Kameras eine digitale Bewegungsanalyse durchführt. Ergänzend zeichnen speziell für Säuglinge geeignete Wearables des Unternehmens Kaasa Referenzdaten auf.

Im nächsten Schritt entwickeln Prof. Dr. Marcin Grzegorzek und sein Team vom Institut für Medizinische Informatik der Universität zu Lübeck lernbasierte KI-Algorithmen. Sie sollen die multimodalen Sensorsignale verarbeiten und aus ihnen die Fidgety Movements der Babys automatisch diagnostisch einschätzen. Insgesamt 150 Säuglinge sollen an der Studie teilnehmen.

Teil der Vorsorgeuntersuchung

Parallel analysiert das Unternehmen YOUSE die Anforderungen der Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte an die App. Auf Basis der Studienergebnisse will Motognosis die Technologie weiterentwickeln und sie zusammen mit YOUSE und Kaasa in eine App für das automatisierte, neurologische Screening von Säuglingen integrieren. Ziel ist es, die App als Teil der Kindervorsorgeuntersuchung im Alter von drei Monaten zu etablieren, um alle Neugeborenen in Deutschland untersuchen zu können.

Projektseite online

Auf der Projektwebsite des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein  können sich interessierte Eltern über die Studie informieren und ihren Säugling für die Teilnahme anmelden.