Verglichen mit anderen Berufsgruppen sind Mitarbeiter in der Pflege überdurchschnittlich oft und auch länger krankgeschrieben. Das zeigt der aktuelle TK-Gesundheitsreport 2019 „Pflegefall Pflegebranche? So geht’s Deutschlands Pflegekräften“.
Menschen in Pflegeberufen sind durchschnittlich 23 Tage krank. Das sind über 50 Prozent mehr als die Vergleichsgruppe aller Beschäftigten (15 Tage). Berufstätige in der Altenpflege sind noch stärker betroffen. Mit einem Krankenstand von 6,94 Prozent haben sie zudem höhere Fehlzeiten als ihre Kolleginnen und Kollegen in der Krankenpflege mit 6,02 Prozent. Beide Ergebnisse liegen deutlich über dem Durchschnitt aller Berufstätigen von 4,09 Prozent.
„Dieser Trend ist seit Jahren zu beobachten. Auch wenn die Fehltage generell zugenommen haben, liegen die Werte für Kranken- und Altenpflegeberufe klar über den durchschnittlichen Vergleichszahlen in anderen Berufen“, sagt Dr. Thomas Grobe, aQua-Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen. „Diese überdurchschnittlichen Werte ziehen sich wie ein roter Faden durch fast alle Kategorien, die wir im Gesundheitsreport beleuchtet haben – von den Fehltagen bis hin zu den Arzneiverordnungen.“
Psyche und Rücken
Besonders häufig fehlen Mitarbeiter in Pflegeberufen wegen psychischer Störungen und Krankheiten des Bewegungsapparats. Während berufsübergreifend jeder Beschäftigte im vergangenen Jahr im Schnitt 2,47 Tage wegen einer psychischen Diagnose krankgeschrieben war, lag die Zahl der Fehltage in den Pflegeberufen bei durchschnittlich 4,63 Tagen. Das sind rund 87 Prozent mehr. Aufgrund von Muskelskeletterkrankungen fehlte jeder Beschäftigte 2018 im Schnitt 2,61 Tage – bei den Menschen in Pflegeberufen waren es mit 4,78 Tagen 83 Prozent mehr.
„Der Gesundheitsreport zeigt, dass Pflege deutlich stärker als andere Berufe auf die Gesundheit geht, besonders auf Rücken und Psyche“, sagt Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK). Seiner Einschätzung nach ist das eine alarmierende Entwicklung. „Sie zeigt, dass es einen vielschichtigen Ansatz braucht, um die Pflegeberufe attraktiver zu machen. „Schon heute fehlt es an Pflegekräften und die Politik hat erste Impulse gesetzt. Wir müssen nun dafür sorgen, dass diejenigen, die pflegen, das möglichst lange und gerne tun. Dafür ist ein gesunder Berufsalltag der Schlüsselfaktor”, so Baas.
Unterschiede Belastung
Männer und Frauen in Gesundheitsberufen haben unterschiedliche Belastungsschwerpunkte. Bei den psychischen Erkrankungen haben Männer in Pflegeberufen fast 2,5 Mal mehr Fehltage als die männliche Vergleichsgruppe. Auch Frauen haben einen relativ hohen Anteil an Fehltagen aufgrund von psychischen Erkrankungen. Die auffälligsten Ergebnisse im Verhältnis zur Vergleichsgruppe findet bei den Erkrankungen des Bewegungsapparats. Dort haben Frauen in Pflegeberufen doppelt so hohe Werte wie die Vergleichsgruppe. Das deutet auf die hohen körperlichen Anforderungen in Pflegeberufen hin.
Mehr Medikamente
Auch bei der Verschreibung von Arzneimitteln liegen die Pflegekräfte vorn. Altenpflegekräfte erhalten mit 314 Tagesdosen pro Kopf 28 Prozent mehr Medikamente als der Durchschnitt der Berufstätigen (244 Tagesdosen). Krankenpflegekräfte erhalten im Schnitt 278 Tagesdosen, das sind 14 Prozent mehr. „Neben Medikamenten gegen Bluthochdruck und Magensäureblockern werden Menschen in Pflegeberufen im Vergleich zu den Berufstätigen insgesamt erheblich größere Mengen an Arzneimitteln zur Behandlung des Nervensystems verschrieben – insbesondere den Männern”, so Thomas Grob. Laut Gesundheitsreport erhalten Männer fast doppelt so viele Antidepressiva (21 Tagesdosen) wie berufstätige Männer, bei denen es im Schnitt elf Tagesdosen sind. Frauen in Pflegeberufen bekamen im vergangenen Jahr 23 Tagesdosen Antidepressiva pro Kopf verschrieben, das sind 32 Prozent mehr als der Durchschnitt berufstätiger Frauen (17 Tagesdosen).
„Es kann nicht sein, dass das berufliche Umfeld die Menschen in Pflegeberufen oftmals so fordert, dass es krank macht.“, sagt TK-Chef Baas und betont das Engagement der TK für Menschen in Pflegeberufen. Ein Bereich sei das professionelle Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM). „Wir fördern bundesweit Projekte in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern, in denen gesundheitsförderliche Konzepte individuell entwickelt und umgesetzt werden”, so Baas. Das reiche von der Schichtplangestaltung, über optimierte Kommunikationsprozesse bis hin zu Angeboten zur Stressreduzierung und Entspannung. „Aber es liegen auch große Chancen in der Digitalisierung. Zum Beispiel kann eine elektronische Patientenakte künftig die Kommunikation und die Abläufe in den Einrichtungen so erleichtern, dass die Pflegekräfte mehr Zeit für ihre Patienten gewinnen”, ist Baas überzeugt
Gesunde Strukturen als Modell-Projekt
Ein Beispiel für Betriebliches Gesundheitsmanagement ist das Modell-Projekt PROCARE, das die TK seit 2017 im Rahmen des BGM unterstützt. Im Rahmen dieses Projekts entwickeln unter der Leitung von Privatdozentin Dr. Bettina Wollesen von der Universität Hamburg Wissenschaftler aus ganz Deutschland gemeinsam mit Pflegeinrichtungen Präventionsprogramme, die sich an Pflegekräfte und Heimbewohner richten. „Erste Ergebnisse zeigen, dass der PROCARE-Prozess von den Pflegeeinrichtungen sehr positiv aufgenommen wird. Viele möchten die neu aufgebauten Strukturen beibehalten und ausbauen“, sagt die Projektleiterin. Bei den Mitarbeitern Ergonomie-Schulungen, Rückenfitness sowie Maßnahmen zu Stressreduzierung und Entspannung oben auf der Wunschliste. Im Projekt zeigte sich, dass teilnehmende Pflegekräfte ihr Belastungsempfinden trotz steigender Anforderungen im Alltag reduzieren konnten. „Auf Seiten der Heimbewohner gibt es sehr positive Ergebnisse in den Bereichen Bewegung, Kognition und psychosoziales Wohlbefinden. Die hierdurch erweiterte Teilhabe am normalen Alltag erhöht zudem die psychische und körperliche Gesundheit”, so Wollesen.
Entlastung durch elektronische Patientenakte
Wie digitale pflegerische Versorgung der Zukunft aussehen kann, weiß Dr. Irmgard Landgraf aus Berlin. Die Internistin wurde bereits mehrfach für ihre digitale Arbeit in einem Berliner Pflegeheim ausgezeichnet. Als niedergelassene Ärztin betreut sie dort rund 150 Pflegeheimbewohner. Schon heute nutzen sie und die Pflegekräfte eine elektronische Pflegeakte, auf die alle Beteiligten Zugriff haben.
„In der elektronischen Pflegeheimakte ist jeder mit wenigen Klicks über Gesundheitszustand und Behandlungen der einzelnen Pflegeheimbewohner gut informiert. Das erhöht die Patientensicherheit sehr“, so die Internistin und ergänzt: „Durch unsere zeitnahe digitale Kommunikation bin ich außerdem als Ärztin immer frühzeitig über alle Beschwerden meiner Patienten informiert und kann sehr schnell intervenieren, auch ohne Hausbesuch. Dadurch können wir Krankenhauseinweisungen deutlich reduzieren.“ Diese Art der Zusammenarbeit sei für Pflegekräfte sehr befriedigend. „Sie arbeiten Augenhöhe mit mir zusammen, wissen, wie sehr ich ihre Arbeit wertschätze und können sicher sein, dass alle ihre Informationen nicht nur bei mir ankommen, sondern ich darauf auch umgehend reagiere“, sagt Landgraf. Ein schöner Nebeneffekt: Der Krankenstand bei Pflegekräften in der Einrichtung ist unterdurchschnittlich niedrig, die Fluktuation extrem gering.