Medizinische Fachgesellschaften: Interessenkonflikte nicht verharmlosen

Symbolgrafik: Geldübergabe
Stellungnahme: „Kein Problembewusstsein dafür, wie weit schon jetzt viele dieser Fachgesellschaften abhängig von Geldern der Industrie sind“ (Grafik: neyro2008/123rf.com)

Die Organisationen MEZIS, Leitlinienwatch und Transparency Deutschland warnen in einer gemeinsamen Stellungnahme davor, dass die deutschen medizinischen Fachgesellschaften langfristig Ansehen und Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen, weil sie Beeinflussungsversuche der pharmazeutischen Industrie quasi als Symbiose hinnehmen.

In einer gemeinsamen Stellungnahme von MEZIS, LLW, TI DE heißt es, dass die Fachgesellschaften den internationalen Trend ignorieren, wissenschaftliche Unabhängigkeit gegen nachgewiesene Beeinflussungsversuche der pharmazeutischen Industrie zu verteidigen. „Vor allem zeigen sie kein Problembewusstsein dafür, wie weit schon jetzt viele dieser Fachgesellschaften abhängig von Geldern der Industrie sind“, warnen die Nonprofit-Organisationen.

Bisherige AWMF-Position verwässert?

MEZIS, LLW und TI DE weisen darauf hin, dass die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) innerhalb eines Vierteljahres zwei Stellungnahmen zur Zusammenarbeit mit der Arzneimittelindustrie abgegeben hat. In beiden werde die gängige Kooperation von MedizinerInnen mit der Industrie quasi als natürliche Symbiose dargestellt. Es werde verschwiegen, dass sich auch Nachteile für PatientInnen und Versicherte aus der finanziellen Verflechtung von Firmen, ÄrztInnen und Fachgesellschaften ergeben können. Damit werde verschleiert, in welche Abhängigkeiten und Interessenkonflikte die Beteiligten geraten können. In beiden Stellungnahmen sei die bisherige AWMF-Position verwässert worden, wonach alle Arten von Interessenkonflikten „erkannt, selbst und fremd bewertet“ und „deren Einflüsse auf Entscheidungen“ reguliert werden müssen.

MEZIS, Leitlinienwatch und Transparency Deutschland befürchten, dass die deutschen medizinischen Fachgesellschaften langfristig Ansehen und Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen. Im Interesse der PatientInnen erwarten die unterzeichnenden Organisationen deshalb von den medizinischen Fachgesellschaften und der AWMF, dass 

  • neben allgemein akzeptierten gemeinsamen Interessen von Medizin und Industrie gleichwertig gegensätzliche Interessen und mögliche Risiken benannt werden. Die Ärzteschaft ist für das umfangreiche Beeinflussungs-Repertoire der Pharma-Konzerne zu sensibilisieren.
  • sämtliche Interessen und daraus mögliche Interessenkonflikte der beteiligten MedizinerInnen in den entsprechenden Publikationen veröffentlicht und vor allem „selbst und fremd bewertet“ werden.
  • Sachverständige mit Interessenkonflikten grundsätzlich von Leitliniengremien ausgeschlossen werden. Im Ausnahmefall sei zu begründen, weshalb nicht auf AutorInnen mit Industriekontakten verzichtet werden konnte
  • gezielt darauf hingearbeitet wird, Kongresse und Fortbildungsveranstaltungen ohne die finanzielle Unterstützung der Industrie durchzuführen.
  • Stände der pharmazeutischen Industrie bei Kongressen auf das für die Informationsvermittlung sinnvolle Maß begrenzt werden. Überdimensionierte Marketing-Auftritte führen dazu, dass weniger finanzkräftige, aber dennoch wichtige AnbieterInnen und Verbände nur am Rande wahrgenommen werden.
  • auf eine ärztliche Fortbildung durch Herstellerfirmen („Industriesymposien“) völlig verzichtet wird.

Vorbild „Physician Payments Sunshine Act“

Das Fazit der Stellungnahme: Die Erfahrung zeigt, dass sich etablierte Institutionen schwertun, bestehende materielle Abhängigkeiten einzugestehen. Deshalb regen wir eine öffentliche Debatte an. Freiwillige Verhaltensvorschriften reichen erfahrungsgemäß nicht aus. Stattdessen sind gesetzliche Regelungen erforderlich. Vorbild könnte nach Ansicht der Organisationen der „Physician Payments Sunshine Act“ in den USA sein. Danach muss die Industrie die Geldflüsse an alle AkteurInnen im Gesundheitswesen offenlegen. 

Die gemeinnützige Organisation MEZIS e.V. „Mein Essen zahl’ ich selbst – Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte“ ist Teil der internationalen „No-Free-Lunch“-Bewegung. Seit Gründung im Jahr 2007 engagiert sich MEZIS mit rund 1.000 überwiegend ärztlichen Mitgliedern für mehr Transparenz und gegen Einflussnahme im Gesundheitswesen.

Leitlinienwatch bewertet medizinische Behandlungsleitlinien auf ihre Unabhängigkeit von der pharmazeutischen und Medizinprodukteindustrie. Das Bewertungssystem belohnt Maßnahmen, mit denen der Einfluss von Interessenkonflikten reduziert wird.

Transparency International Deutschland e. V. ist eine deutsche Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Berlin, die 1993 gegründet wurde. Als deutsches Chapter des Dachverbands Transparency International hat der gemeinnützig tätige Verein den Zweck der Bekämpfung und Eindämmung von Korruption.