Medica: Augmented Reality gegen Spinnenphobie

Forscher haben ein digitales Therapiesystem für die Behandlung von Arachnophobie im häuslichen Umfeld entwickelt. Es soll Betroffenen ein besseres Sicherheitsgefühl vermitteln und so die Therapie erleichtern. Ein Demonstrator des Systems ist auf der Medica (12. bis 15. November in Düsseldorf) zu sehen.

Herzklopfen, Zittern, Schwindel, Schweißausbrüchen oder Atemnot: Beim Anblick von Spinnen geraten viele Menschen in Panik. Manchmal ist der Leidensdruck so groß, die Angst so übermächtig, dass Betroffene sich in Therapie begeben müssen. Als erfolgreiche Behandlung der Arachnophobie haben sich vor allem verhaltenstherapeutische Ansätze bewährt. Als besonders wirkungsvoll gilt die Expositionstherapie, bei der der Patient real mit einer oder mehreren Spinnen konfrontiert wird. Doch oftmals nehmen Betroffene keine ärztliche Hilfe in Anspruch. Sie fürchten die Konfrontation mit den angstauslösenden Krabbeltieren. Zudem mangelt es oftmals an Therapieangeboten. Das wollen die Forscher ändern und schicken die Patienten dazu in virtuelle Welten.

Im Projekt „DigiPhobie“ wollen die Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik IBMT gemeinsam mit der Promotion Software GmbH, der Universität des Saarlandes und dem Universitätsklinikum des Saarlandes diesen Problemen entgegenwirken. Sie entwickeln ein neuartiges, digitales Therapiesystem, das die Expositionstherapie zuhause ermöglichen soll. Es besteht aus einer digitalen Therapieumgebung, tragbaren Sensoren und einer Augmented Reality-Brille (AR). Das System soll es Patienten erleichtern, sich ihren Ängsten zu stellen. Außerdem erhoffen sich die Forscher, dass mithilfe des Systems die Hemmschwelle für die Patienten sinkt, eine Behandlung zu beginnen.

Konfrontation per Datenbrille

„Wir übertragen die echte Konfrontationstherapie in das digitale Spielesystem, das auf der Datenbrille läuft. Alle Übungen werden digital abgebildet. Der Phobiker kann die verschiedenen Aufgaben wie das Einfangen einer Spinne mit einem Glas und einer Postkarte oder das Anstupsen des Krabbeltiers in der virtuellen Realität lösen“, erläutert Dr. Frank Ihmig, Wissenschaftler am Fraunhofer IBMT. Ihmig und sein Team realisieren die Software zum Therapiemanagement sowie die Biofeedback-Steuerung. Sie besteht aus tragbaren Sensoren. Diese Sensoren messen die Vitalparameter des Patienten wie Herzratenvariabilität, Hautleitfähigkeit und Atemfrequenz während einer Sitzung

Physiologische Angstreaktion wird berechnet

Aus diesen gemessenen Parametern lassen sich Merkmale extrahieren, die emotionalen Stress darstellen. Mithilfe dieser Stressmerkmale trainieren die Forscher dann einen maschinellen Lernalgorithmus. „Mit dem Lernalgorithmus leiten wir die physiologische Angstreaktion des Patienten ab und versuchen so die Intensität der Angst zu bestimmen“, erläutert Ihmig. Neben der subjektiven Wahrnehmung des Spinnenphobikers liege demnach ein objektives Maß für dessen Angstreaktion vor. „Dieses berechnete Maß wird in das digitale Spielegeschehen rückgekoppelt, sodass wir quasi ein Closed-Loop-System etablieren. Damit können wir die Therapie personalisiert an die Bedürfnisse des Patienten anpassen“, so der Forscher. Spieleelemente wie Größe, Anzahl und Abstand der Spinnen, aber auch das Bewegungsverhalten der Achtbeiner lassen sich dynamisch einstellen.

Zum Messen des EKG und der Hautleitfähigkeit verwenden die Fraunhofer-Forschenden Klebeelektroden. Mithilfe eines Brustgurts mit Piezosensor wird außerdem die Atmung des Patienten überwacht. Alle gemessenen Signale werden drahtlos per Bluetooth an die Therapiemanagementsoftware übertragen. Außerdem erfolgt eine Archivierung der Daten der Sitzungen sowie des Therapieverlaufs in einer Datenbank. Diese Daten werden den Therapeuten und klinischen Forschern zur Analyse zur Verfügung gestellt.

Studie startet bald

Im Frühjahr 2019 soll im Rahmen einer Studie die Wirksamkeit der digitalen Therapie evaluiert werden. Ähnliche Ansätze mit Virtual Reality-Brillen (VR) haben gezeigt, dass sich mit dieser Form der Therapie gute Erfolge erzielen lassen. Die Ergebnisse der Studie sollen den Grundstein für weitere Behandlungskonzepte legen. Denkbar ist es beispielsweise, die Therapie auf andere Phobien wie die Angst vor Schlangen oder Kakerlaken zu übertragen. „Wir hoffen, dass die Ergebnisse der klinischen Studie neue Perspektiven für die Therapie von Patienten eröffnen, die an spezifischen Phobien leiden“, so der Forscher.

Therapiekoffer

Im Rahmen der Studie soll außerdem die Basis zur Entwicklung eines Systemkoffers gelegt werden, der das komplette Therapieset enthält. Langfristiges Ziel soll es sein, dass der Patient den Koffer in Arztpraxen oder Sanitätshäusern ausleihen und einzelne Sitzungen und Übungen zu Hause durchführen kann.