Wie das Internet der medizinischen Dinge (IoMT), Ferndiagnosen und Health Monitoring dabei helfen, Gesundheitsrisiken zu senken und Kosten zu sparen, erläutert unser Gastautor Andreas Wagner anhand von fünf Schlüsselbereichen. Der Medizintechnik-Experte verantwortet den Bereich Business Development in der DACH-Region bei Bittium Medical Technologies.
Gastbeitrag von Andreas Wagner
Das Internet der Dinge (IoT) hat bereits zahlreiche Branchen durchdrungen, die Gesundheitsbranche ist da keine Ausnahme. Heute eröffnen sensorgestützte Geräte, die das Erfassen und Übertragen medizinischer Daten ermöglichen, sowie medizinische Fernbehandlungsoptionen neue Möglichkeiten, sowohl für Patienten als auch die behandelnden Mediziner. Das sich schnell entwickelnde Internet der medizinischen Dinge (IoMT), eine vernetzte Infrastruktur aus Geräten, Softwareanwendungen und Gesundheitsdiensten, hat bereits erste Beweise dafür geliefert, wie es dazu beitragen kann, wichtige Herausforderungen zu bewältigen, denen sich das Gesundheitssystem heute gegenübersieht. Dies gilt sowohl für den Mangel an medizinischem Personal – insbesondere in ländlichen Gebieten oder in medizinischen Krisenszenarien – als auch für das Management chronischer Krankheiten sowie vorbeugende Gesundheitsmaßnahmen und führt letztendlich zu niedrigeren Kosten für eine höhere Qualität der Versorgung. Diese Überlegungen haben eine allgemeine Relevanz für die heutige Gesundheitsbranche. Noch deutlicher werden sie in gesundheitsbezogenen Krisensituationen wie der aktuellen Covid-19-Pandemie.
IoMT gewinnt an Bedeutung
Ein Bericht von Deloitte prognostiziert, dass der IoMT-Marktwert bis 2022 von 41,2 Milliarden US-Dollar auf 158,1 Milliarden US-Dollar steigen wird. Dies zeigt einen deutlichen Trend sowohl beim technischen Fortschritt der Lösungen als auch bei der beschleunigten Akzeptanz und Nutzung durch Mediziner und Anwender. Geräte, mit denen Verbraucher Biosignale und Indikatoren für Erkrankungen überwachen können, haben inzwischen ein Maß an Genauigkeit und Sicherheit erreicht, das dem Niveau von Geräten entspricht, die früher nur in Kliniken und Arztpraxen verwendet wurden.
Ein weiterer Grund für die wachsende Beliebtheit ist, dass die heutigen Geräte immer anwenderfreundlich und leichter bedienbar sind, sodass Patienten oder Konsumenten sie unabhängig von medizinischem Fachpersonal verwenden können. Somit erweitert das IoMT die Reichweite von Ärzten, und gerade chronisch Erkrankte oder Personen mit Gesundheitsrisiken können unabhängiger und sicherer ihren Alltag bewältigen, ohne ständig Untersuchungen über sich ergehen lassen zu müssen. In fünf Schlüsselbereichen werden die Vorteile des IoMT und moderner digitaler Healthtech-Lösungen besonders deutlich.
Prävention durch Früherkennung
Moderne Medizintechnikgeräte ermöglichen es Patienten, ihre Biosignale, wie Herz-Kreislaufwerte oder neurophysiologische, Atemwegs- und Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes zu überwachen und bieten die Möglichkeit, diese Daten sicher mit ihren Ärzten zu teilen. Dies kann buchstäblich Leben retten, wie das Beispiel der Schlaganfallprävention zeigt: Nach Angaben der Weltgesundheits-organisation (WHO) ist der Schlaganfall mit einer jährlichen Sterblichkeitsrate von etwa 5,5 Millionen und einer Mortalität von bis zu 50 Prozent der Betroffenen die zweithäufigste Todesursache weltweit. Überlebende tragen zudem häufig chronische Behinderungen davon. Bis zu 80 Prozent der Schlaganfälle könnten jedoch durch Überwachung der Hauptrisikofaktoren – arterielle Steifheit, Vorhofflimmern (AFib) und Bluthochdruck verhindert werden.
Risiken für Infektionen (HAIs) senken
Sogenannte mit dem Gesundheitswesen verbundene Infektionen (HAIs – healthcare associated infections) sind Komplikationen, die infolge einer medizinischen Behandlung auftreten können und durch Mikroorganismen wie Bakterien und Viren verursacht werden. Das Europäische Zentrum für die Kontrolle und Prävention von Krankheiten (ECDC) schätzt, dass jedes Jahr europaweit neun Millionen Fälle von HAIs auftreten. Aber auch jeder Warteraum in Arztpraxen birgt das Risiko, sich bei anderen Patienten anzustecken.
Was für allgemein gesunde Patienten unangenehm, aber nicht hochgefährlich ist, kann für Risikogruppen mit bereits bestehenden oder chronischen Erkrankungen lebensbedrohlich sein. Wenn diese Patienten nicht mehr in kurzen Abständen in eine Klinik oder Arztpraxis gehen müssen, um ihren Zustand zu überwachen, sondern die meisten Kontrollen auf Fernüberwachung umstellen, kann dieses das Risiko erheblich gesenkt werden. Dies gilt für jede Grippesaison, aber besonders in einer Krise wie der aktuellen Covid-19-Pandemie. In einer solchen Ausnahmesituation müssen manche Patienten von Ärzten und Kliniken sogar abgewiesen werden, da das Infektionsrisiko höher ist als die Nichtbehandlung ihres Zustands. Dies verursacht jedoch wiederum Gesundheitsrisiken und kann für diese Patienten keine langfristige Lösung sein.
Medizinisches Personal und Diagnosegenauigkeit
Durch die Verwendung von immer mehr vernetzten medizinischen Geräten werden Gesundheitsdienstleister und Patienten durch eine wachsende Fülle gesammelter Gesundheitsdaten unterstützt. Künstliche Intelligenz (KI) und algorithmus-basierte Datenanalysefunktionen ermöglichen die Entwicklung neuer Anwendungen. KI-basierte Technologie wird auch in medizinischen Geräten angewendet, um die Beurteilung und Diagnose von Patienten zu unterstützen. Beispielsweise können Lösungen mit KI-Fähigkeiten bereits heute die Genauigkeit der Erfassung erkannter Arrhythmien, wie z. B. Vorhofflimmern, bei einer großen Patientenpopulation erheblich erhöhen, indem die Anzahl falsch positiver Befunde verringert wird. Dies ersetzt zwar nicht den Bedarf an Ärzten, kann jedoch die Diagnosequalität unterstützen und den Zeit- und Arbeitsaufwand für medizinisches Personal verringern.
Gesundheitskosten senken
Die heutige intelligente Gesundheitstechnologie hat das Potenzial, grundlegende gesellschaftliche Herausforderungen wie die Überalterung der Bevölkerung sowie die steigenden Kosten für die Gesundheitsversorgung zu bewältigen. Die Lösungen ermöglichen genauere Diagnosen und eine effiziente personalisierte Betreuung bei gleichzeitig reduzierten Kosten. Gesundheitsdienstleister und Fachkräfte werden zudem bei der oft mühsamen, aber notwendigen administrativen und datenbezogenen Arbeit entlastet und können so mehr Zeit in die Pflege und Beratung ihrer Patienten investieren. Neben den digitalisierten Unterlagen und dem geringeren Verwaltungsaufwand können erhebliche Kosteneinsparungen erzielt werden, indem Mehrfach-Untersuchungen vermieden, Krankenhauseinweisungen und nachfolgende Behandlungen verhindert und gleichzeitig die Behandlungsqualität verbessert werden.
Die Überwachung von Biosignalen und Indikatoren für Erkrankungen sowie präventive Maßnahmen reduzieren nicht nur die medizinischen Risiken und können Leben retten. Sie verringern auch die Wahrscheinlichkeit eines Krankenhausaufenthaltes und die Notwendigkeit teurer Behandlungen. Eine vom Beratungsunternehmen McKinsey in Zusammenarbeit mit der Deutschen Managed Care Association (BMC) erstellte Studie schätzt, dass 2018 bei vollständiger Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems potenzielle Kosteneinsparungen von bis zu 34 Milliarden Euro erzielt hätten werden können.
Fachkräftemangel entgegenwirken
Digitale Lösungen können nicht nur Kosten senken, sondern auch dazu beitragen, eine weitere große Herausforderung zu bewältigen. Alle beschriebenen Maßnahmen – von der Fernüberwachung medizinischer Werte, über AI-basierte Diagnoseunterstützung, bis hin zur Verringerung der Wahrscheinlichkeit eines Krankenhausaufenthaltes – können den wachsenden Personalmangel im Gesundheitsbereich lindern. Insbesondere in ländlichen Gebieten kann der Bedarf an medizinischem und Pflegepersonal häufig nicht gedeckt werden. Chronische Krankheiten und eine alternde Bevölkerung tragen zu diesem Problem bei. Ein wachsendes „Internet der medizinischen Dinge“ mit all seinen Vorteilen kann helfen, dieser Herausforderung entgegenzuwirken.