Zwei Studien verdeutlichen ein großes Interesse von Senioren an technischen Assistenz-Systemen für Wohn-Umgebungen. Die Pflege- und Wohnungswirtschaft hat demnach solche Assistenzlösungen bislang viel zu weit unten auf der Agenda.
AAL-Lösungen können für mehr Autonomie im Alter sorgen. Das Verlassen der eigenen vier Wände und eine ständige Betreuung durch Pflegedienste kann sich deutlich herauszögern lassen. Aber: Trotz demografischem Wandel und drohendem Pflegenotstand verschlafen weite Teile der Wohnungswirtschaft und Pflegeanbieter bislang die Chancen, die sich hier ergeben.
Als Vorreiter und Inkubator für die Bereitstellung einer breiten Palette von Diensten für IT-unterstütztes Leben in den eigenen vier Wänden versteht sich die Plattform „Smart Service Power“ (SSP). „Es ist einfach falsch, dass ältere Menschen nicht mit Technik umgehen können – sie werden deutlich unterschätzt“, sagt Dr. Bettina Horster, Projektleiterin von Smart Service Power und Vorstand der Vivai Software AG.
Aktuelle Umfragen der FH Dortmund belegen zudem, dass Senioren durchaus stark an Lösungen für autonomes Wohnen interessiert und bereit sind, dafür zu zahlen. Mehr noch: sie machen Autonomiesysteme zu einem extrem wichtigen Thema.
Senioren stehen IT unvoreingenommen gegenüber
Die von Dritten für sie geführte Debatte um angeblich fehlende Technik-Affinität und Digitalkompetenz interessiert viele Senioren überhaupt nicht. Sie wollen praktikable und exakt auf ihre Anforderungen zugeschnittene Lösungen. Das zeigen die Ergebnisse zweier Umfragen, die das Institut für Digitalisierung von Arbeits- und Lebenswelten (IDiAL) der FH Dortmund gemeinsam mit SSP-Konsortialmitgliedern durchgeführt hat. Federführend befragte das Team der Wissenschaftlerin Jelena Bleja in zwei Erhebungen rund 600 ältere Menschen nach deren Bereitschaft für Technik-Unterstützung im Alter. Hervorstechendstes Ergebnis: Senioren stehen Sensorik und IT wesentlich unvoreingenommener gegenüber, als angenommen.
Das FH-Team befragte schwerpunktmäßig Menschen über 50 Jahre. In der ersten Studie zur Nutzung und Akzeptanz von assistierenden Techniken im Alter waren 59 Prozent der Umfrageteilnehmer über 50, in der zweiten Studie zu Wohnen im Alter und Techniknutzung 85 Prozent über 50, und 59 Prozent über 65 Jahre alt. Beide Umfragen liefen von März bis Mai 2018 im Rahmen mehrerer Veranstaltungen in Dortmund (Seniorentag, „nordwärts“, „DortBunt“) und brachten im ersten Durchlauf 230, im zweiten 335 ausgefüllte Fragebögen.
Unterstützung durch altersgerechte Techniken
Insgesamt zeigte die Mehrheit der nahezu paritätisch vertretenen befragten Senioren eine hohe Technikaffinität und Offenheit gegenüber technischen Geräten. So können sich 89 Prozent der Teilnehmer vorstellen, bei Pflegebedürftigkeit von altersgerechten Techniken zusätzliche Unterstützung zu erhalten. Gleichzeitig steht der Erhalt persönlicher Freiheitsgrade im Vordergrund: Immerhin 62 Prozent der Interviewten sind der Meinung, dass sie mit einer engen Begleitung durch ein Assistenzsystem in der eigenen Wohnung mehr Privatsphäre haben – weil beispielsweise der Pflegedienst nur dann vorbeikommt, wenn er tatsächlich gebraucht wird.
Datensicherheit ist ein Muss
Ein sehr hoher Anteil der Befragten, 85 Prozent, legt erwartungsgemäß großen Wert auf Datensicherheit und möchte wissen, was mit ihren Daten passiert. Desungeachtet wären 44 Prozent bereit, einen Teil ihrer Daten anonymisiert Unternehmen zur Verfügung zu stellen, falls die Nutzung der technischen Geräte für sie damit preiswerter würde. Insgesamt 73 Prozent wären dazu bereit, bei Bedarf ihre Wohnung für ihre Pflegebedürfnisse umgestalten zu lassen, etwa über die Integration einer automatischen Sturzerkennung. Grundsätzlich besteht die Bereitschaft, für ein Assistenz-System Geld auszugeben. Zusammen 53 Prozent der im ersten Durchgang befragten würden bis zu 79 Euro monatlich zahlen wollen, 73 Prozent der Teilnehmer der zweiten Umfrage würden ihre Wohnung entsprechend ihrer Pflege- oder Unterstützungs-Anforderungen umbauen lassen.
Investoren gesucht
Die Ergebnisse der Umfragen zeigen, dass mit Smart Service Power derzeit eine Serviceplattform entsteht, die bei Senioren gewollt ist. Auf der Plattform lassen sich Sturzerkennung, Abweichungen in Ernährungs- und Aktivitätsverhalten sowie Erinnerungen an die Medikamenteneinnahme, auch im Sinne der Prävention und sozialen Teilhabe, barrierefrei und sicher vor unberechtigten Zugriffen realisieren. Sie ist zudem offen für Erweiterungen bezüglich Technologien oder Geschäftsmodellen. Dem Anbieterkonsortium gehören Unternehmen und Einrichtungen an, die das Feld ideal vorbereiten und eine tragfähige technologische Plattform inklusive Geschäftsmodell aufsetzen. Jetzt sind nach den Worten von Konsortialleiterin Bettina Horster Investoren gefragt, die das enorme Potenzial des Service-Enablers Smart Service Power nutzen und in die flächendeckende Einführung einsteigen.
Das Kürzel AAL steht für (engl.) Ambient Assisted Living. Gemeint sind damit Assistenz-Systeme für Wohn- oder Pflege-Umgebungen.