Die Entwicklung eines alltagstauglichen Hand-Exoskeletts, das gelähmten Menschen die Funktion der Hand zurückgibt und ihnen mehr Selbstständigkeit im Alltag ermöglicht, ist das Ziel eines jetzt gestarteten Forschungsprojektes. Im Rahmen des Projektes arbeiten Wissenschaftler der Universitätsklinik Tübingen, der Universitäten Tübingen und Stuttgart sowie der Hochschule Reutlingen zusammen. Die Baden-Württemberg Stiftung fördert das Projekt „KONSENS-NHE“ mit einer Summe von rund 500.000 Euro über drei Jahre.
In der ersten Projektphase erfolgen die Forschung und Entwicklung, um das neue hirngesteuerte Hand-Exoskelett aufzubauen. Daran soll sich eine intensive Testphase anschließen, bei der das Gerät von bis zu zehn Schlaganfallpatienten und fünf Querschnittsgelähmten im Alltag getestet wird. „Für uns ist es wichtig, Patienten von Anfang an miteinzubeziehen“, sagt Projektkoordinator Dr. med. Surjo R. Soekadar, Psychiater am Universitätsklinikum Tübingen.
Alltagstauglichkeit wichtig
„Unser langfristiges Ziel ist, dass Patienten das System selbstständig im Alltag nutzen können“, so Soekadar. Um das zu erreichen, werden Rahmen des Projektes die Kompetenzen der Teilnehmer in den Bereichen der Neurowissenschaften, Robotik und Informatik gebündelt. Das Forscherteam greift auf den Prototyp eines hirngesteuerten Hand-Exoskeletts zurück, das bereits von einem internationalen Team an Wissenschaftlern unter Führung der Universität Tübingen entwickelt wurde. Mit ihm war es gelungen, die Handfunktion Querschnittsgelähmter mit technischen Mitteln fast vollständig wiederherzustellen. Das System war allerdings noch nicht tragbar und musste von speziell ausgebildeten Personen angelegt und bedient werden.
Ausgehend von diesen Vorarbeiten soll im Rahmen des Projektes jetzt ein tragbares und alltagstaugliches Hand-Exoskelett entwickelt werden, das sich an den Kontext der Anwender anpasst. Halbseitig-gelähmte Personen, wie Schlaganfallpatienten, sollen es selbstständig anlegen und nutzen können. „Durch den Einsatz neuer Materialien, wie Silikonelastomeren, also transparenten und elastischen Kunststoffen, möchten wir auch den kosmetisch-ästhetischen Bedürfnissen der Anwender gerecht werden“, erläutert Soekadar. Hierfür wurden das Tübinger Unternehmen CHT Group als Kooperationspartner gewonnen.
Herausforderung Hand-Exoskelett-Steuerung
Die Steuerung des Hand-Exoskeletts basiert auf einem sogenannten Brain/Neural-Computer Interaction (BNCI) System. Dabei werden am Kopf Hirnströme gemessen. Diese Ströme werden mit weiteren Biosignalen, wie Augenbewegungen, kombiniert verarbeitet. Die Vorstellung einer Finger-Bewegung, die zu einem charakteristischen Hirnstrom-Signal führt, wird so in ein Steuersignal für das Hand-Exoskelett übersetzt, das schließlich die gelähmte Hand in Echtzeit bewegt.
Doch auch über die reine Signal-Übersetzung hinaus gibt es Herausforderungen. So ist es mit Bewegungsimpulsen allein nicht getan. Ein Glas oder ein Ei muss vorsichtig angefasst werden, damit es nicht zerbricht, andere Greifbewegungen erfordern ein festes Zupacken. Damit die gelähmte Hand mittels Hand-Exoskelett entsprechend greift, kommen beim Projekt weitere Techniken zum Einsatz. Der Plan ist es, die bisherige Sensorik des Systems weiter zu verfeinern, um Greifbewegungen an die speziellen den Anforderungen im Alltag anzupassen. Cristóbal Curio, Leiter des Bereichs Kognitive Systeme an der Hochschule Reutlingen, und sein Team sorgen hierbei für die Integration einer 3D-Objekterkennung. Das Tübinger Labor für Theoretische Sensomotorik unter Leitung von Martin Giese lässt sein Know-How im Bereich der Bewegungsanalyse mittels tragbarer Sensoren einfließen. Martin Spüler und Wolfgang Rosenstiel von der Technischen Informatik der Universität Tübingen sorgen schließlich dafür, dass sich das System selbstständig kalibriert.
Sogenannte elektromyografische (EMG) Elektroden sollen für Patienten zum Einsatz kommen, die noch Muskelaktivität an den Händen haben, jedoch nicht genügend Kraft aufbringen, um sichere Greifbewegungen zu bewerkstelligen. An entsprechenden Lösungen arbeiten Oliver Röhrle und Leonardo Gizzi vom Institut für Mechanik/Lehrstuhl Kontinuumsmechanik der Universität Stuttgart. Einen besonders herausfordernden Teil verantwortet Urs Schneider, Bereichsleiter Fraunhofer IPA. Er wird mit seinem Team am Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Universität Stuttgart, Abteilung Mensch-Technik-Interaktion, das alltagstaugliche Hand-Exoskelett konstruieren sowie alle erforderlichen Sensoren zusammenfügen.
Mit dem Projekt wollen die Forscher die Lebensqualität für Querschnittsgelähmte und Schlaganfallpatienten verbessern. Darüber hinaus erhoffen sich die Wissenschaftler auch Fortschritte in der Rehabilitation der Patienten. Este Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die regelmäßige Verwendung eines neuralen Exoskeletts nach einem Schlaganfall oder Rückenmarksverletzungen zu einer Erholung der Bewegungsfähigkeit führen kann.