Bei neurologischen Notfällen spielen der Zeitfaktor und der Zugriff auf speziell geschultes Fachpersonal eine entscheidende Rolle. Nach Einschätzung des Medizintechnik-Spezialisten Bittium kann auch eine neue Lösungsgeneration mobiler EEGs zur Lösung dieser Herausforderungen beitragen.
Laut der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat sich die neurologische Notfallmedizin zum drittwichtigsten Gebiet in der Krankenhausnotaufnahme entwickelt. So erleiden laut DGN rund 260.000 Menschen jährlich einen Schlaganfall. Auch epileptische Anfälle, Hirnblutungen oder Schädel-Hirn-Traumata gehören zu den neurologischen Notfällen, mit denen Notfallsanitäter und medizinisches Personal in Notaufnahmen und Kliniken regelmäßig konfrontiert werden.
Entscheidend für die sofortige Behandlung und damit die Vermeidung dauerhafter Gesundheitsschäden der Patienten, ist im Bereich der neurologischen Notfallmedizin eine schnelle sowie präzise Erfassung und Auswertung der Hirnsignale. Dies geschieht üblicherweise mittels der Elektroenzephalographie (EEG), was jedoch gerade in der Notfall- und Akutmedizin bisher mit einer ganzen Reihe von Herausforderungen verbunden ist. Kritisch sind etwa der Zeitfaktor oder die Notwendigkeit, jederzeit Zugriff auf speziell geschultes Fachpersonal zu haben.
Im nachfolgenden mednic-Gastbeitrag fasst Andreas Wagner, Experte des Medizintechnik-Spezialisten Bittium, die wichtigsten Problembereiche zusammen und erklärt, wie eine neue Lösungsgeneration mobiler EEGs dank des Zusammenspiels von fortschrittlichen Elektroden und Analysefunktionen auf Basis künstlicher Intelligenz (KI) zur Lösung dieser Herausforderungen beitragen kann.
Fortschritte bei der Erfassung und Analyse von Biosignalen für EEG
Gastbeitrag von Andreas Wagner
Neue Elektrodentechnologie und KI-Analysen lösen Herausforderungen in der neurologischen Notfall-, Akut- und Intensivmedizin
Die Situation bei neurologischen Notfällen sieht heute in der Regel folgendermaßen aus: ein Rettungswagen wird gerufen und Rettungssanitäter oder Notarzt erkennen beispielsweise, dass es sich um einen epileptischen Anfall handeln könnte. Wenn der Muskelkrampf nicht nach wenigen Minuten von selbst aufgehört hat, müssen sie entkrampfende Mittel spritzen, da längere Anfälle lebensgefährlich sein können. Der Nachteil dieses Vorgehens ist jedoch, dass bei der Ankunft in der Klinik eine für die Folgebehandlung wichtige Diagnose des Anfalls mittels EEG nicht mehr möglich ist. Für Patienten mit nicht konvulsivem Status epilepticus ist ein EEG sogar noch wichtiger, da ein Anfall das Gehirn nach 30 Minuten irreversibel schädigt und der Patient meist nicht mit Antikonvulsiva behandelt wird, da Muskelkontraktionen fehlen. Eine sofortige EEG-Untersuchung wäre daher für viele Szenarien ein entscheidender Vorteil. Dies ist bisher jedoch bei Rettungseinsätzen und oftmals auch in der Notaufnahme problematisch.
Zeitaufwändiges und kompliziertes Anbringen der EEG-Elektroden
Die größte Herausforderung, um besonders in der Notfall- und Akutmedizin zügig ein EEG vornehmen zu können, ist das Anlegen der Elektroden. Bei herkömmlichen medizinischen EEG-Geräten werden 20 oder mehr Elektroden über den gesamten Kopf des Patienten verteilt angebracht. Die Elektroden müssen dabei hundertprozentig synchron verteilt sein. Gibt es beispielsweise Abweichungen bei der Positionierung der rechts und links angebrachten Elektroden, kann dies die Werte der EEG-Aufzeichnungen verfälschen. Eine geübte EEG-MTA (Medizinisch-Technische Assistenz) benötigt für das Anbringen der Elektroden in der Regel rund 20 Minuten.
Eine erste Erleichterung brachten EEG-Kappen, in die die Elektroden bereits eingearbeitet sind. Allerdings müssen auch diese zunächst mit speziellem Gel präpariert werden. Danach muss der Sitz jedes Kontaktes überprüft werden. Besonders im Bereich des Kopfhaars muss dieses bei jeder Elektrode zur Seite geschoben werden, damit ausreichend Hautkontakt besteht. Daher setzt diese Methode ebenfalls speziell geschultes Personal voraus und dauert auch dann rund zehn Minuten.
Aus diesem Grund ergeben sich zwei Probleme: einmal der Zeitfaktor, der in der Notfallmedizin eine entscheidende Rolle spielt, und auf der anderen Seite die Notwendigkeit, jederzeit Zugriff auf speziell geschultes Fachpersonal zu haben. Natürlich kann aber nicht jeder Rettungswagen mit Fachkräften für alle möglichen medizinischen Vorfälle und Diagnosegeräte ausgestattet sein. Auch in der Notaufnahme sind üblicherweise nicht rund um die Uhr EEG-MTAs und Neurologen vor Ort.
Die Lösung für diese Problematik verspricht nun eine neue Generation von Elektroden mit Technologie aus dem Bereich der Wearables. Dabei kann eine geringere Anzahl von Elektroden, die nur im frontalen Bereich des Kopfes angebracht wird, präzise EEG-Signale liefern. Die Elektroden werden darüber hinaus bei neuesten Versionen mobiler EEGs nicht einzeln angebracht, sondern sind in einem Band fixiert, sodass die exakte Positionierung bereits vorgegeben ist.
Die Vorteile sind offensichtlich – das Anbringen kann nicht nur wesentlich schneller erfolgen, es ist zudem so unkompliziert, dass auch Sanitäter und Notfallpersonal ohne spezielle Ausbildung ein EEG ableiten kann.
Behinderung bei der Behandlung
Ein weiterer Nachteil bisheriger EEG-Elektroden war deren komplexe Verkabelung die gerade in der Notfallmedizin die Behandlung behinderte.
In der Notaufnahme müssen häufig mehrere Ärzte und Fachkräfte den Patienten gleichzeitig behandeln. Ein EEG-System mit herkömmlichen Elektroden, die über Kabel mit einem Monitor verbunden sind, ist dabei sehr störend. Für Rettungskräfte und den Krankentransport ist ein solches System noch viel weniger geeignet.
Bei der neuen, durch Wearables beeinflussten Generation mobiler EEG-Systeme wird das Elektrodenband direkt mit einem sehr kompakten Sender verbunden, der die Signale drahtlos auf einem Monitor dargestellt, dadurch ist die Beweglichkeit des Patienten nicht beeinträchtigt. Diese Übertragung stellt eine hohe Signalqualität sicher und ermöglicht auch Langzeit-EEG-Messungen
Komplexe Datenauswertung
Auch die Auswertung der EEG-Daten war bisher sehr aufwändig. In der Regel werden EEG-Aufzeichnungen visuell überwacht. Die Auswertung der aufgezeichneten Messwerte war bisher nur durch geschulte Spezialisten möglich. Aber auch für diese war der Zeitaufwand für die Auswertung hoch. Die Spezialisten können selten über einen langen Zeitraum neben dem Patienten sitzen, um die Aufzeichnungen live anzusehen. Bei der retrospektiven Auswertung mussten jedoch große Mengen an Aufzeichnungen durchgeschaut werden, um Abweichungen und erneute Vorfälle feststellen zu können. Da die Patienten meist sediert sind, würden niemand einen erneuten Anfall wahrnehmen, außer jemand schaut genau in diesem Moment auf die EEG-Kurven.
Eine solche Problematik ist in der Notfall- und Intensivmedizin natürlich besonders prekär. Aber auch für nicht lebensbedrohliche EEG-Anwendungen, bei denen EEG-Aufzeichnungen über einen längeren Zeitraum vorgenommen werden sollen, ist dieses Thema relevant. Zu diesen Anwendungsgebieten gehören u.a. Migräne, unter denen rund 15 Prozent der Bevölkerung leidet (iii), sowie Schlafstörungen.
Die neueste Generation von EEG-Systemen begegnet dieser Herausforderung durch die Verwendung künstlicher Intelligenz. Nach langjähriger Forschung ist es gelungen, intelligente Algorithmen zur Analyse der EEG-Aufzeichnungen zu nutzen. Dies kann zwar keine Neurologen oder geschulte MTAs ersetzen, entlastet jedoch das medizinische Personal enorm bei der Patientenbetreuung.
Die KI-Funktionen zur intelligenten Auswertung der EEG-Aufzeichnungen erstellen eine Übersicht der einzelnen aufgezeichneten Mess-Zyklen und werten Trends aus. Anhand bestimmter Werte sieht das medizinische Personal sofort, ob alle Werte im „grünen Bereich“ sind oder ob es beispielsweise vor kurzem einen erneuten Vorfall gab. Liegen die Werte außerhalb der Norm, kann sofort der zuständige Arzt oder ein Spezialist hinzugezogen werden. Dieser findet dank der analysierten Aufzeichnungen auch sofort den wichtigen Beobachtungszeitraum und kann sich dann die entsprechenden Messkurven genauer ansehen.
Für die Aufzeichnung mobiler EEG-Systeme können auch Touchpanel-PC eingesetzt werden. Die zum System gehörige Software verfügt über alle Standardfunktionen moderner EEG-Systeme, ist aber auch für Pflegekräfte, die nicht mit EEG-Software vertraut sind, einfach und intuitiv zu bedienen. Die EEG- Daten des Patienten können über das Klink-Netzwerk in eine Daten-Cloud übertragen werden, sodass ein Neurologe auch von einem beliebigen Standort aus sofort die Analysen einsehen und Anweisungen geben kann. Dies spart nicht nur Zeit im Klinikalltag – es kann bei akuten Notfällen auch die Überlebenschancen erhöhen
Ausblick
Die Zusammenführung von Kompetenzen der Biosignalanalyse und Medizintechnik mit Mobiltechnologie und Funktionen auf Basis künstlicher Intelligenz kann dazu beitragen, langjährige Herausforderungen bei EEG-Anwendungen zu lösen. Schnelle Messungen unter Feldbedingungen sowie in Krankenhäusern helfen dabei, den Behandlungsprozess von Patienten deutlich zu beschleunigen und die Diagnose zu erleichtern.
Die drahtlose Echtzeit-Überwachung mobiler EEGs ermöglicht neben der Aufzeichnung der Daten im Speicher des Geräts auch eine hochsichere Datenübertragung für die Fernüberwachung. Zukünftig könnten daher EEG-Aufzeichnungen nicht nur innerhalb von Kliniknetzwerken an behandelnde Fachkräfte übertragen werden. Sollte kein Spezialist vor Ort sein, ermöglichen solche Systeme auch die Übertragung an Spezialkliniken oder Experten an anderen Standorten.
Da die Geräte nicht nur einfacher bedienbar, sondern auch kompakt und für mobile Einsätze geeignet sind, könnten sogar Rettungskräfte beim Feldeinsatz sofort die EEG-Elektrode anlegen und die Daten an Spezialisten übertragen, statt lediglich Standardmaßnahmen vor dem Transport einzuleiten. Auch die Fernüberwachung bei Langzeitaufzeichnungen könnte in Zukunft ambulant ungesetzt werden. Das wäre nicht nur eine Erleichterung für die Patienten und das Klinikpersonal, sondern ermöglicht auch Kosteneinsparungen. Nach dem Anlegen der Elektrode und des kompakten Senders, könnten die Patienten die Klink verlassen und beispielsweise eine 24-Stunden EEG-Aufzeichnung zuhause durchführen.