Wenn vom 25. bis 27. April die Berliner DMEA stattfindet, stellt der digitale Gesundheitssektor dort nicht nur wichtige neue Produkte und Lösungen vor. Es ist auch ein Branchenevent, das klare Forderungen an die Politik und auch an die Leistungserbringer formuliert. Mednic.de befragte im Vorfeld zahlreiche Aussteller zu ihren Erwartungen.
Von der Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege, über Consumer Health bis hin zu Informationssicherheit im stationären Umfeld und Interoperabilität – auf dem Berliner Messegelände dreht sich während der DMEA alles um die Digitalisierung des Gesundheitswesens.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat wie im Vorjahr die Schirmherrschaft übernommen. Im vergangenen Jahr hatte Lauterbach auf der Messe ein Strategiegesetz für eine moderne und bessere Medizin angekündigt. Im Herbst folgte dann der Auftakt zur Digitalisierungsstrategie, deren erste Ergebnisse in diesem Frühjahr vorgestellt wurden.
Die DMEA ist aber nicht nur eine Nabelschau der deutschen Digitalexperten aus dem Gesundheitsbereich. Neben Branchengrößen wie CompuGroup Medical, Dedalus, ID Information und Dokumentation im Gesundheitswesen, medatixx, Meierhofer, nexus AG und Telekom Healthcare Solutions kommen auch zahlreiche Startups aus dem In- und Ausland. Die Zahl der ausstellenden Startups konnte im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt werden. Die meisten internationalen Aussteller präsentieren sich wie in den Vorjahren an Gemeinschaftsständen.
Karriere-Fokus
Das Thema Nachwuchs rückt in diesem Jahr noch mehr in den Fokus der DMEA. Auf der neuen Fläche „_Focus: DMEA sparks“ präsentieren sich Aussteller und Hochschulen, um mit Studierenden und Young Professionals ins Gespräch zu kommen und sie als potenzielle neue MitarbeiterInnen zu gewinnen. Neben der Ausstellungsfläche wird es eine eigene Bühne für Gesprächsrunden, Vorträge und Info-Sessions geben.
Modernes, digitales Gesundheitswesen
Das Aussteller-Spektrum ist breit und so entsprechend kommen die Unternehmen auch mit teils völlig unterschiedlichen Lösungen nach Berlin, die dennoch alle etwas gemeinsam haben: Sie forcieren ein digitales, modernes Gesundheitswesen. Das Unternehmen Meedio aus Dänemark wird in Berlin Lösungen für die Videokommunikation, Videokonsultation, einen DSGVO-konformen, für die TI bereiten Messenger sowie Tumorboards vorstellen.
Medatixx wird seine Softwarelösungen für Psychotherapie- und Arztpraxen sowie Krankenhausambulanzen und MVZ vorstellen. Dabei feiert „psyx“, die neue Praxissoftware für psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, seine Premiere. Auch die Praxissoftware medatixx für Arztpraxen wird am Messestand mitsamt Features vorgestellt.
Schwerpunktthemen von RZV sind Managed Cloud Services, mit denen Gesundheitseinrichtungen passgenaue Servicemodelle für den Betrieb der IT geboten werden, zudem die elektronische Fallakte, die erstmalig mit einem zentralen DICOM-Archiv ausgestattet ist sowie Migrationskonzepte für den Umstieg von SAP ERP auf die neue Plattform SAP S/4HANA.
White Label-Lösungen für Videosprechstunden
Das Fachpublikum im Visier hat auch Jameda: BesucherInnen werden am brandneuen Messestand zu den neuesten Lösungen rund um die Online-Terminvergabe informiert. Diese wurde unlängst um zahlreiche Features erweitert. So sorgen nicht nur Nachrückerliste und Profilstatistiken, sondern auch der einzigartige Messenger für mehr Effizienz. Im Fokus steht zudem das Produkt „Patientus“, über das Jameda White Label-Lösungen für Videosprechstunden anbietet.
DGN stellt den neuen DGN Messenger vor, mit dem ÄrztInnen künftig untereinander und mit anderen Gesundheitseinrichtungen in Echtzeit vertrauliche Kurznachrichten austauschen können – sicher und sektorenübergreifend. Das Unternehmen zeigt zudem die DGN KIM Klinik Appliance. Sie ist eine Management-Lösung für den E-Mail-Fachdienst KIM in der Telematikinfrastruktur, die auf die speziellen IT-Anforderungen von Kliniken und Pflegeeinrichtungen zugeschnitten ist.
Neben vielen spannenden Produktinnovationen geht es in den Berliner Messehallen aber auch um Politik. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist ein gesellschaftspolitischer Dauerbrenner, nicht zuletzt befeuert durch die kürzlich veröffentlichte Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen. Die klare Forderung von bvitg-Geschäftsführerin Melanie Wendling lautet hierzu: „Wir müssen uns jetzt gemeinsam auf das Ziel fokussieren, das deutsche Gesundheitssystem umfassend zu digitalisieren. Für mich sind dabei drei Faktoren entscheidend: Zuverlässigkeit, Verbindlichkeit und Verantwortung. Und das über Legislaturperioden und Sektoren hinweg“.
Vorgaben der aus der Digitalstrategie
Spricht man mit den ausstellenden Unternehmen, werden noch weitere Aspekte und Sichtweisen deutlich. Medatixx-Geschäftsführer Jens Naumann kennt die Branche bestens und weiß, was jetzt folgt: „Die nächsten Schritte der Digitalisierung im Gesundheitswesen in Deutschland werden geprägt sein von den konkreten Vorgaben der aus der Digitalstrategie des BMG abgeleiteten Gesetze, deren erste Veröffentlichungen wir in den nächsten Tagen erwarten“.
Thema „patient empowerment“
Jameda-Pressesprecher Dr. Matthias Glötzner will die BMG-Politik nicht ganz so hoch aufgehängt sehen und hebt für sein Unternehmen auch andere Aspekte hervor: „Wichtiger als gesamtgesellschaftliche Themen wie die Umsetzung der im März angekündigten Digitalstrategie des BMG ist für uns der digitale Wandel im Arzt-Patienten-Verhältnis. Das betrifft einerseits das Thema ‚patient empowerment‘. Heute informieren sich mehr als 60 Prozent der Patienten vor dem Arztbesuch im Internet oder tracken ihre Gesundheitsdaten. Sie suchen die Praxis dann mit konkreten Erwartungen an Diagnose und Therapie auf, was vielen Ärzten widerstrebt. Andererseits verbindet sich mit dem Fortschreiten der Digitalisierung die Befürchtung, dass ein Mehr an Technik die menschliche Begegnung von Arzt und Patient ersetzt.“
Runi Hammer, CEO von Meedio, hält indes die gesamtgesellschaftliche Betrachtung sehr wohl für extrem wichtig, da sie letztlich zu einem höheren – oder geringeren – Ausbautempo bei der weiteren Digitalisierung führen wird: „Ein wichtiges Thema wird sein, wie wir mittels IT die Produktivität steigern können, um trotz Fachkräftemangel und demographischem Wandel eine medizinische Versorgung auf hohem Niveau aufrecht zu halten. Wir werden Antworten auf die Frage finden müssen, wie wir mit Hilfe von Technologie Ressourcen einsparen können – und zwar in verschiedenen Szenarien. Und diese Antworten werden nur in Zusammenhang mit einem hohem Digitalisierungsgrad im Gesundheitswesen zufriedenstellend ausfallen.“
Hype-Thema KI wird seriös betrachtet
Fraglos wird auch Künstliche Intelligenz eines der zentralen DMEA-Themen sein. Spätestens seit „ChatGPT“ ist das Thema weit über das Fachpublikum hinaus zu einer gesamtgesellschaftlichen Debatte geworden. Davon kann der Gesundheitsbereich, doch gleich mehrere Gesprächspartner warnen davor, das Thema zu hoch zu bewerten. „Die konkreten Auswirkungen von KI in der ambulanten Versorgung Deutschland, in der wir als Medatixx mit unseren Produkten als einer der Marktführer vertreten sind, sind derzeit aufgrund einer Vielzahl offener rechtlicher, ethischer, technischer, wirtschaftlicher und rein medizinischer Fragen noch nicht abschätzbar“, gibt Medatixx-Chef Jens Naumann zu bedenken.
Ethische und datenschutzrechtliche Aspekte
DGN-Geschäftsführer Armin Flender sieht viele positive Aspekte, warnt aber im Hinblick auf den ChatGPT-Hype auch vor einer Vernachlässigung des Datenschutzes: „Von der Echtzeit-Übersetzung über Behandlungsempfehlungen auf Basis evidenzbasierter Daten bis hin zur Erstellung von Arztbriefen – ChatGPT hat mit Sicherheit das Potenzial, Prozesse im Gesundheitswesen wirkungsvoll zu unterstützen und zu beschleunigen. Dabei müssen allerdings ethische und datenschutzrechtliche Aspekte berücksichtigt werden. Denn schließlich geht es um sensible Patientendaten, die es zu schützen gilt.“
Viele positive Entwicklungen durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz erwartet Markus Stein, Strategisches Produktmanagement Healthcare bei RZV: „Vor allem in der Bildverarbeitung wird die KI in den nächsten drei bis fünf Jahren eine wertvolle Unterstützung von Radiologen wie Pathologen bei der Bewertung von Bildern leisten. Insbesondere die automatische Detektion eindeutig negativer Befunde etwa im Feld der Mammographien bietet die Chance, dass sich Ärztinnen und Ärzte auf die potenziell pathologischen Bilder konzentrieren. Auch der Bereich der Augmented Reality kann im Kontext der OP-Vorbereitung oder OP-Durchführung an Bedeutung gewinnen und den Chirurgen eine Unterstützung hin zu minimal-schädigenden Eingriffen etwa im Bereich der Tumor- oder Endoprothetik-Chirurgie liefern.“
Teils unrealistische Erwartungen an KI
Vor übergroßen und falschen Erwartungen an Künstliche Intelligenz warnt Meedio-CEO Runi Hammer: „ChatGPT hat unsere Aufmerksamkeit auf die Potenziale von KI gelenkt. Es hat aber auch unrealistische Erwartungen an KI geschürt. Ich denke, dass KI in der Medizin in den nächsten zehn Jahren unterstützend hilfreich sein kann, zum Beispiel beim Auslesen von Röntgenbildern. Außerdem wird sie mehr oder minder stupide, einfache Aufgaben übernehmen können, etwa eine Besprechung zusammenfassen, Dokumente ausfüllen etc. Auch geht es im Wesentlichen um die Freisetzung von menschlichen Ressourcen für andere Aufgaben.“