Mit Hilfe eines virtuellen Gehirns haben Forscher jetzt die bei Depression auftretenden Gedächtnisprobleme untersucht. Dabei zeigte sich, dass die Konsequenten von langanhaltenden depressiven Phasen für die Betroffenen deutlich weitreichender sein könnten als bisher vermutet.
Dass Menschen sich in depressiven Phasen schlechter an aktuelle Ereignisse erinnern, war bereits bekannt. Denn während einer depressiven Phase verringert sich die Fähigkeit des Gehirns, neue Nervenzellen zu bilden. Mithilfe eines Computermodells konnte das Team um den Neuroinformatiker Prof. Dr. Sen Cheng an der Ruhr-Universität Bochum zeigen, dass auch ältere Erinnerungen davon betroffen waren. Wie weit die Gedächtnisprobleme zurückreichten, hing von der Länge der depressiven Phase ab.
Bei einer schweren Depression können Patienten unter so starken kognitiven Einschränkungen leiden, dass man von einer Pseudo-Demenz spricht. Anders als bei der klassischen Form der Demenz verbessert sich das Erinnerungsvermögen wieder, sobald die depressive Phase abklingt. Diesen Prozess wollten die Wissenschaftler verstehen. Daher entwickelten sie ein Computermodell, das die Besonderheiten des Gehirns von Patienten mit einer Depression widerspiegelt. An diesem Modell erprobten die Forscher die Fähigkeit sich neue Dinge einzuprägen und bereits gespeicherte Erinnerungen abzurufen. Wie bei echten Patienten wechselten sich auch in dem Computermodell depressive Phasen und Phasen ohne Symptome ab. Dabei bezogen die Forscher mit ein, dass Menschen in einer depressiven Phase weniger neue Nervenzellen bilden als in einer symptomfreien Phase.
In zuvor verwendeten Modellen waren Erinnerungen nur als ein einziges Aktivitätsmuster gespeichert worden. Die Forscher aus Bochum konnten Erinnerungen nun erstmals als Abfolge von mehreren Aktivitätsmustern modellieren. „So können auch zeitliche Abfolgen von Ereignissen im Gedächtnis gespeichert werden“, sagt Sen Cheng.
Bleibende Schädigungen?
Wie von den Wissenschaftlern vorhergesehen, konnte das Computermodell Erinnerungen genauer abrufen, wenn der zuständige Teil des Gehirns viele neue Nervenzellen bilden konnte. Wurden weniger neue Nervenzellen gebildet, war es schwieriger für das Gehirn, ähnliche Erinnerungen zu unterscheiden und getrennt abzurufen. Es zeigte sich aber auch, dass das Modell nicht nur Probleme damit hatte, aktuelle Erinnerungen während einer depressiven Phase abzurufen. Es fiel ihm auch schwerer, auf Erinnerungen zurückzugreifen, die vor der Depression entstanden waren. Je länger die simulierte depressive Phase andauerte, desto weiter zurückliegende Erinnerungen waren betroffen.
„Bisher geht man davon aus, dass nur während einer Depression Gedächtnisstörungen auftreten“, erklärt Sen Cheng. „Wenn unser Modell recht hat, hätten Depressionen weitreichendere Konsequenzen. Alte Erinnerungen könnten bleibend geschädigt werden, selbst wenn die Depression bereits abgeklungen ist.“ Das Forscherteam hat die Ergebnisse seiner Untersuchung nun in der Fachzeitschrift Plos One veröffentlicht. Gefördert wurde die Studie durch die Stiftung Mercator, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.