Schlechte Aussichten für Krankenhäuser

Krankenhausflur (Foto: Igor Zakharevich/123rf.com)

Ab 2022 könnten Krankenhäuser in Deutschland vermehrt in eine wirtschaftliche Schieflage geraten und von Insolvenz bedroht sein, zeigen die Ergebnisse des jetzt veröffentlichten „Krankenhaus Rating Reports“.

Die wirtschaftliche Lage der Kliniken hat sich 2019 weiter verschlechtert. 13 Prozent lagen im „roten Bereich“ mit erhöhter Insolvenzgefahr. 33 Prozent der Krankenhäuser schrieben auf Konzernebene einen Jahresverlust. Die Ertragslage hat sich 2019 ebenfalls leicht verschlechtert: 33 Prozent der Krankenhäuser schrieben auf Konzernebene einen Jahresverlust, 2018 waren es 31 Prozent. Im Jahr 2019 betrug das durchschnittliche Jahresergebnis 0,8 Prozent der Erlöse, im Jahr 2016 waren es noch 2,2 Prozent.

Im Jahr 2020 dürften die Ausgleichszahlungen für die Einnahmeausfälle der Krankenhäuser während der COVID-19-Pandemie zu einem positiven Netto-Effekt führen. Ab 2022 befürchten die Autoren des „Krankenhaus Rating Reports“ jedoch eine deutliche Verschlechterung. Veröffentlicht wurde der Report vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und der Institute for Healthcare Business GmbH (hcb) in Kooperation mit der Bank im Bistum Essen (BIB) und der HIMSS.

Ausschlaggebend für die schlechte wirtschaftliche Lage ist den Studienautoren zufolge die seit 2017 anhaltende Stagnation der Leistungsmenge. Aufgrund der COVID-19-Pandemie sank die stationäre Fallzahl im Jahr 2020 zudem um dramatische 13 Prozent. In den ersten Monaten der Pandemie vorübergehend sogar um 30 Prozent. Im Jahr 2020 waren zwei Prozent aller Betten und vier Prozent aller Intensivbetten durch COVID-19-Patienten belegt. Auch im Jahr 2021 dürfte die Ausnahmesituation mit deutlich geringerer Leistungsmenge als 2019 bestehen bleiben.

Vorübergehende Entlastung durch Ausgleichszahlungen 

2020 wurden insgesamt rund 10,2 Milliarden Euro für die Einnahmeausfälle der Krankenhäuser in Form von Ausgleichszahlungen ausgezahlt. Damit lagen die Ausgleichszahlungen in der Summe höher als die durch die Leistungsreduktion hervorgerufenen Mindererlöse der Krankenhäuser. Dadurch stiegen die Erlöse 2020 bei den somatischen Krankenhäusern durchschnittlich um etwa 3,7 Prozent und bei psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken durchschnittlich um etwa 10,6 Prozent. Entsprechend dürfte sich die wirtschaftliche Lage der Kliniken 2020 kurzzeitig verbessern und 73 Prozent im „grünen“ sowie 9 Prozent im „roten“ Bereich liegen.

Wettbewerb um Pflegekräfte

Die Auslagerung der Pflegepersonalkosten ab dem Jahr 2020 führte schon 2019 zu einem erheblichen Aufbau des Pflegediensts in den Krankenhäusern und gleichzeitig zu einem Abbau des Funktionsdiensts. Außerdem sind Wanderungsbewegungen von der Alten- in die Krankenpflege zu beobachten. Der erwartete starke Sogeffekt des Pflegebudgets zeigt sich demnachbereits. Auch der Wettbewerb um die Pflegekräfte auf dem Arbeitsmarkt nimmt zu. Schon vor 2019 war die Fluktuation des Pflegepersonals gestiegen.

Ärzte in Teilzeit

Im Krankenhausbereich und im vertragsärztlichen Bereich arbeiten immer mehr Ärzte. Sie sind immer häufiger in Teilzeit tätig. Im vertragsärztlichen Bereich stieg der Teilzeit-Anteil von acht Prozent im Jahr 2009 auf 38 Prozent im Jahr 2020. Daher ist hier umgerechnet die Zahl der Vollkräfte zwischen 2009 und 2020 konstant geblieben. Darüber hinaus arbeiten immer mehr ambulant tätige Ärzte in einem Angestelltenverhältnis. Im Jahr 2008 waren es noch sechs Prozent, im Jahr 2020 bereits 24 Prozent.

Große Häuser profitabler

Krankenhäuser mit einer Bettenzahl zwischen 600 und 900 beziehnungsweise mit Umsatzerlösen zwischen 140 und 190 Millionen Euro haben die beste Ertragslage. Davon ausgenommen sind Fachkliniken. Ein hoher Grad an Spezialisierung beeinflusst das Rating ebenso positiv wie die Zugehörigkeit zu einer Kette. Kliniken in freigemeinnütziger und privater Trägerschaft schneiden im Allgemeinen beim Rating und der Ertragslage deutlich besser ab als öffentlich-rechtliche Kliniken. 

Kraftakt für Kliniken

Die Fördermittel nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) beliefen sich im Jahr 2019 auf 3,16 Milliarden Euro. Gegenüber dem Vorjahr lagen sie damit um 3,8 Prozent höher. Im langfristigen Trend sind sie jedoch geschrumpft. Bezogen auf die Krankenhauserlöse beliefen sie sich im Jahr 2019 auf nur 3,5 Prozent (1991: rund zehn Prozent). Zum Erhalt der Unternehmenssubstanz sollten jährlich sieben bis acht Prozent der Erlöse in Investitionen fließen. Der jährliche förderfähige Investitionsbedarf der Plankrankenhäuser zum Substanzerhalt liegt bei mindestens 5,5 Milliarden Euro, zuzüglich Universitätskliniken bei 6,3 Milliarden Euro. Krankenhäuser schließen diese Lücke teilweise aus eigener Kraft. Wegen der der sich verschlechternden Ertragslage, aber auch der Ausgliederung von zweckgebundenen Pflegebudgets, ist das jedoch für die Kliniken immer schwieriger.

Konsolidierung und Digitalisierung

Innerhalb von Versorgungsregionen ist nach Einschätzung der Studienautoren eine enge Koordination der Angebote nötig. Wo immer möglich, sollten sich Träger innerhalb der Region zusammenschließen oder zumindest trägerübergreifend kooperieren. Ambulante und Integrierte Gesundheitszentren sollten für die primärärztliche und fachärztliche Versorgung etabliert werden. In den meisten Regionen finden sich Krankenhäuser, die sich aufgrund ihrer Größe und Lage als Teil eines „Integrierten Gesundheitszentrums“ (IGZ) eignen könnten. Dazu sollten Hürden für die Übernahme von ambulanten Leistungen durch Krankenhäuser abgebaut werden.

Rettungswesen digitalisieren

Je stärker zentralisiert eine Krankenhausstruktur ist, desto mehr muss das Rettungswesen digitalisiert sein. Jeder Rettungswagen benötigt eine telemedizinische Anbindung zum Krankenhaus, und es müssen bereits erste wichtige Schritte durch den Notarzt oder entsprechend ausgebildete Rettungssanitäter unternommen werden.

Bessere Verknüpfung

Die Altenpflege muss enger mit der medizinischen Versorgung verknüpft werden. Nötig ist ein nahtloser Übergang vom Krankenhausaufenthalt zur Kurzzeitpflege. Ein IGZ oder ein Krankenhaus sollte zu diesem Zweck entsprechende Verträge mit der Pflegeversicherung schließen können. Auch das Prinzip „Reha vor Pflege“ sollte stärker gelebt werden. Ein wichtiger Baustein der ländlichen Versorgung sind mobile Gesundheits- und Pflegeexperten mit telemedizinischer Anbindung an ein Gesundheitszentrum oder ein Krankenhaus.

Digital vor ambulant vor stationär

Die Versorgung sollte nach dem Grundsatz „digital vor ambulant vor stationär“ gestaltet werden. Zentrale Voraussetzung dafür ist die elektronische Patientenakte (ePA). Vorbild dafür könnte die ePA aus Estland sein. Sie verzichtet weitgehend auf paternalistische Voreinstellungen seitens Dritter weitgehend und gesteht dem einzelnen Bürger eine große Autonomie zu. Da Estland Mitglied der Europäischen Union ist, ist die dortige ePA konform zur Datenschutzgrundverordnung und sollte demnach auch in Deutschland zulässig sein.

Anreize für Fachkräfte

Anreize könnten zu einer Erhöhung der Erwerbstätigenquote beitragen. Dabei sehen die Studienautoren das Anheben der Teilzeitquote als einen der größten Hebel. Denn in Teilzeit tätige Fachkräfte sind bereits voll ausgebildet und einsatzfähig. In der Pflege sind ein neues Verständnis des Pflegeberufs und Karriereoptionen notwendig. Als Beispiel nennen die Studienautoren„Clinical Nurses“ mit der Übernahme von mehr Verantwortung und Tätigkeiten, die bislang ausschließlich Ärzten vorbehalten sind. Ergänzend sollte die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte gefördert werden. 

Digitalisierung fördern

„Der Anteil der von Insolvenz bedrohten Kliniken wird in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter steigen“, sagt RWI-Gesundheitsexperte Boris Augurzky. Sektorenübergreifende Versorgung und Digitalisierung seien wichtige Bausteine, um die Situation von Kliniken und Patienten zu verbessern. HIMSS-Experte Sebastian Krolop ergänzt: „Voraussetzung für alle digitalen Anbindungen ist jedoch eine Standardisierung der Daten und Schnittstellen.“