Plattform für integrierte Patientenversorgung

Eine Web-Plattform soll zukünftig die Behandlung von Patienten mit chronischen Mehrfacherkrankungen unterstützen, indem sie den Informationsaustausch zwischen den beteiligten medizinischen Fachkräften verbessert und den Patienten beim Selbst-Management ihrer Erkrankungen hilft. Entwickelt wird diese Plattform zur integrierten Patientenversorgung im Rahmen des EU-Projektes PICASO unter der Leitung von Fraunhofer FIT. Auf dem 46. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) wurde der aktuelle Status jetzt dem Fachpublikum präsentiert.

Die Zahl der Patienten mit chronischen Mehrfacherkrankungen (Multimorbidität) steigt stetig und wird sich infolge des demographischen Wandels in Zukunft noch weiter erhöhen. Aktuell sind laut Deutschem Alterssurvey (DEAS) rund zwei Drittel aller Patienten zwischen 55 und 69 Jahren davon betroffen. Danach steigt die Wahrscheinlichkeit sogar auf über 80 Prozent. Betroffene benötigen medizinische Behandlung durch verschiedene Spezialisten und eine individualisierte Therapie. Der mangelnde Informationsaustausch zwischen allen an der Behandlung Beteiligten erschwert die Behandlung, da zum Beispiel verordnete Medikamente häufig nicht optimal aufeinander abgestimmt sind. Hier setzt die im EU-Projekt PICASO (A Personalised Integrated Care Approach for Service Organisations and Care Models for Patients with Multi-Morbidity and Chronic Conditions) entstehende Web-Plattform zur integrierten Patientenversorgung an.

Ziel ist es, die Kommunikation zwischen allen an der Behandlung und Pflege Beteiligten über die Plattform zu verbessern. Über die Plattform sollen sich beispielsweise Kardiologen, Rheumatologen, Radiologen, Hausärzte, Physiotherapeuten sowie Pflegende und Angehörige effektiver austauschen können. Ärzte können mit PICASO zum Beispiel Behandlungspläne erstellen, die dem aktuellen HL7 FHIR Standard (Fast Healthcare Interoperability Resource) folgen. Dieser Standard ermöglicht Interoperabilität und somit etwa den Informationsaustausch zwischen Krankenhäusern und Arztpraxen mit ihren unterschiedlichen Dokumentationssystemen.

Selbst-Management im Fokus

Darüber hinaus soll die Plattform auch die die Eigeninitiative und das Selbst-Management der Betroffenen fördern. Sie sollen einen besseren Überblick über den eigenen Gesundheitsstatus erhalten, um so Wechselwirkungen mit dem eigenen Verhalten besser verstehen zu können. Dazu wurde das PICASO „Patient Dashboard“ entwickelt. Es zeigt dem Patienten seinen Behandlungsplan mit den für einen bestimmten Tag vorgesehenen Aufgaben. Zu diesen Aufgaben zählen beispielsweise die zeitgenaue Einnahme von Medikamenten oder der Zeitpunkt, zu dem eine Blutdruckmessung vorgesehen ist. Der Patient kann die Medikamenteneinnahme bestätigen oder eintragen, wenn Medikamente anders als verschrieben eingenommen wurden. Für alle Aufgaben gibt es auf Wunsch des Patienten Erinnerungsmeldungen. Die Ergebnisse aus all diesen Messungen kann der Anwender in einzelnen Charts ansehen oder über eine zusammenfassende Übersicht aufrufen.

Dashboard erleichtert integrierte Patientenversorgung

Für behandelnde Ärzte und Betreuer kommt das „Clinician Dashboard“ zum Einsatz. Es visualisiert das komplette Behandlungssetting. Ärzte erhalten damit einen schnellen Überblick. So können sie zum Beispiel abrufen, von welchen anderen Ärzten oder medizinischen Fachkräften der Patient bereits behandelt wurde oder wird und welche diagnostischen Informationen insgesamt vorliegen. Darüber hinaus können Behandlungspläne erstellt werden, um etwa die Medikamentierung festzulegen oder zu bestimmen, wie oft Blutdruck zu messen ist. Hier wird auch definiert, welche anderen Ärzte oder medizinischen Fachkräfte in die Behandlung einbezogen werden sollen. Alle Ergebnisse aus den zu Hause vom Patienten erhobenen Messungen und Fragebögen zum Gesundheitszustand sind außerdem hier einsehbar.

Eine Ansicht im „Clinician Dashboard“: Ergebnisse aus Vitalparametermessungen und von Patienten zu Hause ausgefüllten Gesundheitsfragebögen, etwa zur Rheumaaktivität. (Foto: www.picaso-project.eu)

Kommunikation und Prognose

Eine Kommunikationskomponente der Plattform soll außerdem den Informationsaustausch zwischen den Ärzten erleichtern. Ein weiteres Tool soll den Ärzten dabei helfen, das individuelle Gesundheitsrisiko eines Patienten besser einschätzen zu können. Diese Prognose erfolgt auf Basis vorhandener und aktuell erhobener Gesundheitsdaten des Patienten, beispielsweise dessen körperliche Aktivität, Rauchverhalten oder Cholesterinwerte.

Nutzertests laufen

„Die beiden Dashboards werden aktuell in Nutzertests evaluiert. Eine Studie wird seit April in Rom von der Universität Tor Vergata und der Abteilung für Psychiatrie des Institute of Treatment and Research, Santa Lucia, mit an Parkinson erkrankten Patienten durchgeführt“, sagt Henrike Gappa vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT. Auch die Angehörigen der Patienten werden in diese Tests eingebunden. Über ein Tablet können sie auf das Patienten-Dashboard zugreifen, um etwa zu überprüfen, ob alle notwendigen Aufgaben des Tages durchgeführt wurden. „Ziel ist es zu evaluieren, ob solche Anwendungen pflegende Angehörige bei der Erfüllung ihrer Betreuungsaufgaben unterstützen können“, so Gappa.

Darüber hinaus wurde vor Kurzem eine zweite Studie gestartet. Sie wird von der Poliklinik für Rheumatologie & Hiller Forschungszentrum für Rheumatologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf organisiert. Im Fokus stehen hier 30 ambulant versorgte Patienten mit rheumatoider Arthritis und einer Herz-Kreislauferkrankung. Die Patienten werden die Plattform zusammen mit ihren betreuenden Ärzten über einen Zeitraum von sechs Monaten testen.