Die Barmer warnt vor einem brisanten Pflegenotstand. Weil die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland stärker steigt als bisher angenommen, werden bis zum Jahr 2030 voraussichtlich mehr als 180.000 Pflegekräfte fehlen.
Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle Barmer Pflegereport 2021, den die Krankenkasse jetzt vorgestellt hat. Mit dann insgesamt rund sechs Millionen Pflegebedürftigen wird es demnach eine Million Betroffene mehr geben wird als bisher angenommen. Bei konservativen Annahmen werden auch dadurch mehr als 180.000 Pflegekräfte fehlen.
„Die Politik muss zügig gegensteuern, andernfalls bleibt die Pflege eine Großbaustelle auf schwachem Fundament. Im Koalitionsvertrag stehen dazu einige richtungsweisende Vorhaben. Das begrüßen wir ausdrücklich! Nun muss rasch die Umsetzung angegangen werden“, fordert Prof. Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer.
Bundesländer müssen liefern
Insbesondere die Bundesländer müssten endlich ihrer Pflicht nachkommen, die Investitionskosten für stationäre Pflegeeinrichtungen zu übernehmen. Dadurch würde bereits eine Entlastung bei den Eigenanteilen der Pflegebedürftigen erreicht werden. Denn bisher stellen die Pflegeheime dies in der Regel den Bewohnerinnen und Bewohnern in Rechnung. Außerdem sollten die Leistungsbeträge der sozialen Pflegeversicherung einmalig angehoben und dann regelmäßig dynamisiert werden, um eine finanzielle Überlastung der Pflegebedürftigen zu vermeiden. Die für den Jahreswechsel geplante Anhebung der Pflegesachleistungsbeträge sowie die Einführung eines Leistungszuschlages bei vollstationärer Pflege sind nach Ansicht der Barmer erste wichtige Schritte.
Der ab dem kommenden Jahr vorgesehene jährliche Steuerzuschuss in Höhe von einer Milliarde Euro sollte im Gleichschritt mit den jährlichen Ausgaben der Pflegeversicherung ansteigen, so die Krankenkasse. „Die künftige Bundesregierung will die Pflegebedürftigen mittelfristig in Bezug auf die steigenden Eigenanteile in der stationären Pflege entlasten. Auch die Prüfung zur weiteren Senkung der Eigenanteile ist ein wichtiges Element“, so Straub.
59 Milliarden Euro für die Pflege
Prof. Dr. Heinz Rothgang vom SOCIUM – Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik an der Universität Bremen ist Autor des Pflegereports. Er geht davon aus, dass aufgrund der höheren Zahl an Pflegebedürftigen und des zunehmenden Personalbedarfs ein deutlich größerer Finanzbedarf besteht. Dieser werde ohne weitere Leistungsverbesserungen, die gleichwohl nötig seien, von 49 Milliarden Euro im Jahr 2020 auf 59 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 steigen. „Neben den Herausforderungen bei der Finanzierung muss der Blick auch auf die Frage gerichtet werden, wer künftig die Pflegebedürftigen betreuen soll. Bereits heute fehlen tausende Pflegekräfte“, so Rothgang. Den Arbeitskräftemangel zu bekämpfen, müsse ein zentrales Anliegen werden.
Laut den Ergebnissen des Reports fehlen bis zum Jahr 2030 etwa 81.000 Pflegefachkräfte, 87.000 Pflegehilfskräfte mit und 14.000 Pflegehilfskräfte ohne Ausbildung. Dabei sei im stationären Bereich die vollständige Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens noch gar nicht berücksichtigt. Aus diesem Grund ist es dringend erforderlich, dass der Pflegeberuf deutlich attraktiver wird. Daher ist es Rothgang zufolge richtig, geteilte Dienste abzuschaffen und den Anspruch auf familienfreundliche Arbeitszeiten einzuführen. Außerdem müsse mehr getan werden, um die Belastungen dieser enorm anstrengenden Arbeit abzufedern.
Eine Million Pflegebedürftige in Heimen
Der Barmer-Report geht davon aus, dass in weniger als zehn Jahren knapp drei Millionen Pflegebedürftige ausschließlich von ihren Angehörigen gepflegt. Das sind rund 630.000 mehr als im Jahr 2020. Zudem wird es insgesamt eine Million Menschen vollstationär und 1,17 Millionen durch ambulante Pflegedienste versorgte Menschen geben. Dies entspricht einem Anstieg um gut 200.000 Pflegebedürftigen (plus 26 Prozent) in Pflegeheimen und 165.000 Personen, die ambulant versorgt werden (plus 16 Prozent).
Angesichts der steigenden Zahl der Betroffenen und der bereits heute großen Zahl an fehlenden Pflegekräften warnt die Barmer: Deutschland ist auf auf dem besten Wege, in einen dramatischen Pflegenotstand zu geraten. Die künftige Bundesregierung muss vor allem die Ausbildung attraktiver machen, um diesen Notstand abzuwenden. „Es muss mehr Nachwuchs für die Pflege gewonnen werden“, betont Straub. Die Vereinheitlichung der Pflegeausbildung und der Wegfall des Schulgeldes durch das Pflegeberufegesetz seien hier wichtige Schritte gewesen.