AWMF: Patientenversorgung vs. Investoren-Interessen

Ändert sich die Art der Behandlung, wenn private Investoren MVZ oder Praxen betreiben?
AWMF- Veranstaltungsreihe: Ändert sich die Art der Behandlung, wenn private Investoren MVZ oder Praxen betreiben? (Foto: catherinelprod/123rf.com)

Die Tatsache, dass immer häufiger private Investoren Medizinische Versorgungszentren (MVZ) oder Praxen betreiben, darf sich nicht negativ auf die Qualität der Behandlung auswirken. Darauf weist die Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften e.V. (AWMF) hin. 

Um die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Versorgung besser beurteilen zu können, braucht es aus Sicht von Experten dringend mehr Studien für Deutschland. Nur so lässt sich die Ergebnisqualität verlässlich beurteilen.

„Das primäre Ziel von Investoren, laufende Erträge zu erzielen und den Wert der Praxis zu steigern, ist grundsätzlich nicht verwerflich, sofern die Behandlungsqualität der Patientinnen und Patienten nicht darunter leidet. Damit verbunden stellt sich jedoch die Frage, ob sich die Art der Behandlung unterscheidet, wenn private Investoren die Praxen oder MVZ betreiben“, betont Professor Dr. Rolf-Detlef Treede, Präsident der AWMF zur Relevanz des Themas. Darüber hinaus gelte es durch Studien zu untersuchen, woher die Gewinne stammen, die investorenbetriebene MVZ oder Praxen machen: „Die Gründe dafür können sowohl in einer effizienteren Beschaffung, einer schlechteren Vergütung des Personals oder in höheren Erträgen aus GKV-Beiträgen liegen“, so Treede.

Negative Auswirkungen in den USA

Das Ziel jedes Inverstors läge in der Erwirtschaftung von Kapital – erläuterte der einleitende Referent Professor Dr. rer. pol. Simon Reif, anlässlich einer AWMF- Veranstaltungsreihe von Ärzten und Juristen. Reif ist Leiter der Forschungsgruppe Gesundheitsmärkte in Deutschland am Leibnitz Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Ärztliche Praxisinhaber müssten letztlich nach gleichen Prinzipien arbeiten, um Mitarbeiter, Geräte und Sachmittel bereitzustellen. Die entscheidende Frage sei jedoch, ob eine schlechtere Versorgung erfolgt, wenn Praxen oder MVZ von Investoren betrieben werden. Daten aus den USA zeigen, dass es zu negativen Auswirkungen auf die Qualität der Patientenversorgung kommen kann, wenn Einrichtungen von Private Equity Gesellschaften (PEG) betrieben werden. Welche Unterschiede sich in Deutschland etwa bezogen auf die Versorgungsqualität ergeben, müsse in Studien untersucht werden. Für eine evidenzbasierte Gesundheitspolitik müsse hier der Zugang zu Daten für die Wissenschaft verbessert werden.

140 Praxen und MVZ aufgekauft

In den letzten Jahren ist die Zahl der Ankäufe von Arztpraxen oder Medizinischen Versorgungszentren durch Private Equity Investoren rasant gestiegen. 2021 wurden 140 Praxen und MVZ aufgekauft, 2011 waren es nur acht. Der Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein und Allgemeinmediziner Bernd Zimmer ging auf ein aktuelles, im Auftrag der KV-Bayern erstelltes Gutachten des IGES-Instituts Berlin ein. Dieses habe bei Private Equity Gesellschaften (PEG) ein im Vergleich zu Einzelpraxen um 8,3 Prozent erhöhtes Honoraraufkommen gezeigt. Solche Ergebnisse könnten darauf hindeuten, dass ökonomische Motive im Vergleich zu Einzelpraxen eine größere Rolle spielen. Es bestehe die Gefahr, dass in den renditeorientierten Niederlassungen bevorzugt lukrative Behandlungen angeboten werden, während andere Versorgungsaufgaben, welche nicht zur geforderten Rendite beitragen, leiden beziehungsweise von anderen Leistungsträgern erbracht werden müssen. Zimmer sieht deshalb dringenden Regelungsbedarf für MVZ, etwa darin, mehr Transparenz über die Besitzverhältnisse zu schaffen und Marktanteile zu begrenzen.

„Rosinenpickerei“ unabhängig von Eigentumsverhältnissen

Die Aspekte eines Juristen stellte Dr. Stephan Rau dar. Rau berät insbesondere Ärzte und nichtärztliche Investoren bei Praxis- und Unternehmenskäufen sowie regulatorischen Fragen. Er beklagt die Unsachlichkeit und Pauschalität der Vorwürfe mancher ärztlicher Standesvertreter und Politiker gegen nichtärztliche Investoren. MVZ böten den Vorteil, wirtschaftliche und ärztliche Aufgaben zu trennen – zum Vorteil von Behandelnden und Patienten. Kapital-gesteuerte Ziele seien bei Investoren, Krankenhäusern und Vertragsärzten gleich. Die Gefahr der „Rosinenpickerei“, also der ausschließlichen Erbringung besonders gut honorierter Leistungen, besteht aus Sicht von Rau ebenso unabhängig von den Eigentumsverhältnissen. Hiergegen sei der Gesetzgeber noch nicht vorgegangen, weil die Spezialisierung auf bestimmte Leistungen durch Ärzte eine hohe Qualität dieser sicherstellen sollte. Dem Gesetzgeber stünde es aber frei, dies zu ändern. Regelungen, die darauf abzielen, nur nichtärztliche Investoren aus der ambulanten Versorgung zu verdrängen, seien dagegen verfassungswidrig.

Ärztliche Entscheidungsfreiheit muss unberührt bleiben

„Klar ist, dass immer das Patientenwohl und nicht ökonomische Interessen im Vordergrund stehen müssen. Die Indikations- und Ergebnisqualität ist daher ein entscheidender Parameter in der Patientenversorgung, unabhängig davon, wer Betreiber ist“, fasst der Moderator der Sitzung, Professor Dr. Hans-Friedrich Kienzle zusammen. Unabdingbar sei auch, dass die Entscheidungsfreiheit der häufig angestellten Ärzte unberührt bleibe. „Die Hoheit über eine Behandlung muss immer beim behandelnden Arzt liegen. Sie ist ein entscheidender Faktor für eine am Patientenwohl orientierte Gesundheitsversorgung, die nicht von wirtschaftlichen Interessen getrieben sein darf“. Daher sei es auch wichtig, die Freiberuflichkeit weiter zu stärken und die Niederlassung für Ärzte erschwinglich zu halten.