KI für personalisierte Krebstherapie

Glioblastomzellen (grün) wachsen invasiv in ein Organoid aus Nervenzellen (rot). (Foto: Christian Conrad)

Bei der Diagnose und Therapie von Krebserkrankungen bietet Künstliche Intelligenz (KI) neue Möglichkeiten für personalisierte Medizin, die genau auf den jeweiligen Patienten zugeschnitten ist.

Im Schnitt erkrankt jedes Jahr eine halbe Million Menschen an Krebs, Tendenz steigend. Durch bessere Diagnosemöglichkeiten zeigt sich, dass der Krebs eine sehr individuelle Krankheit ist. Deshalb ist eine persönlich auf den jeweiligen Patienten zugeschnittene Therapie sinnvoll. Wie das mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI) gelingen kann, zeigen Wissenschaftler am Berlin Instiute of Health (BIH) in verschiedenen Projekten.

Durch die neuen Möglichkeiten lassen sich einzelne Krebszellen mit höchster Detailschärfe charakterisieren und die passenden Medikamente Erkrankte auswählen. Zudem entwickeln die Forscher eine Krankenakte speziell für Krebspatienten, die sie auf ihrem oft langen Krankheitsweg begleitet und alle Krankheits- und Behandlungsdaten aufnimmt.

Professorin Angelika Eggert, Direktorin der Kinderklinik der Charité mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie, ist Sprecherin der Forschungsplattform „Multi-Omics“ des BIH: „Hier können wir mithilfe neuer molekularer Technologien Tumoren schon heute sehr präzise bis auf die Ebene einzelner Zellen charakterisieren.“ So lässt sich das komplette Erbgut der Zellen entschlüsselt. Zudem können sämtliche Proteine charakterisiert, der Stoffwechsel der Zellen verfolgt und Biomarker oder Oberflächenmoleküle entdeckt werden. Bei allen diesen Schritten fallen riesige Datenmengen an. „Um diese Daten zu erfassen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen braucht man natürlich auch die künstliche Intelligenz,“ so Eggert.

Rückfallrisiko berechnen

Die Analyse der molekularen Daten zu einem Tumor geben Auskunft darüber, welche molekularen Ziele für eine Therapie möglich wären. Darüber hinaus können die Forscher das das individuelle Rückfallrisiko des Patienten oder der Patientin berechnen und daraufhin die Aggressivität der Therapie anpassen. „Oder wir versuchen, den Patienten auch neue experimentelle Therapien anzubieten, gerade wenn das Risiko sehr hoch ist“, erklärt Angelika Eggert. Dieses aufwändige Vorgehen eignt sich nicht für jede Krebsdiagnose. „Da geht es um die Patienten, denen wir bisher nicht effektiv helfen konnten, bei denen wir also zusätzlichen Aufwand, auch unter Zuhilfenahme der Künstlichen Intelligenz, betreiben müssen.“

Vorab-Tests

Primäre Gewebeproben von herausoperierten Tumoren untersucht Dr. Christian Conrad vom BIH Centrum für Digitale Medizin mit seinem Team. „Das sind oft nur sehr geringe Mengen, das reicht nicht aus, um daran 50 verschiedene Medikamente auf ihre Wirkung zu testen“, erklärt der Biologe. „Wir züchten daher aus den im Gewebe enthaltenen Stammzellen kleine dreidimensionale Gewebestückchen, so genannte Organoide, an denen wir die Tests durchführen können. Unter dem Mikroskop können wir dann beobachten, ob eine Substanz den Tumor zum Schrumpfen gebracht hat, ob sie Tumorzellen abtötet oder keine Wirkung zeigt.“

Da sehr viele Proben getestet werden müssen, wollen die Forscher das Verfahren automatisieren: „Wir verwenden Kulturplatten, auf denen 100 Organoide gleichzeitig Platz finden. Diese werden automatisch unter dem Mikroskop analysiert und die Daten direkt im Computer ausgewertet. Unser Ziel ist es, Modelle zu entwickeln, die Auskunft darüber geben können, welches Medikament bei welchem Patiententumor die beste Wirkung gezeigt hat“, so Conrad.

Wirksamkeits-Vorhersage

Parallel dazu analysieren die Wissenschaftler auch die genetische Expression der Mini-Tumoren. Auf diese Weise wollen sie feststellen, welche genetischen Veränderungen im Tumor enthalten sind. Dadurch lassen sich Vorhersagen treffen, welche zielgerichteten Medikamente am wahrscheinlichsten gegen die Tumorzellen aktiv sind. „Meist stimmt unsere Vorhersage anhand der Sequenzierdaten mit der Beobachtung unter dem Mikroskop überein, manchmal aber auch nicht“, berichtet Christian Conrad. „Wir wollen herausfinden, wie die Morphologie, also das Aussehen der Organoide, und die Genexpression zusammenhängen.“

„Unser Ziel ist es, verschiedenen Krebspatienten eine möglichst wirksame und nebenwirkungsarme Therapie anbieten zu können“, sagt Professor Roland Eils, Gründungsdirektor des BIH Zentrums für Digitale Gesundheit. In Zukunft wollen die Forscher das Verfahren so weiter entwickeln, dass es für möglichst viele Krebsarten einsetzbar ist. 

Elektronische Krankenakte für Krebspatienten

Professorin Sylvia Thun leitet die BIH Core Facility für e-health und Interoperabilität. Sie möchte auf Basis internationaler IT-Standards (FHIR, SNOMED, LOINC) eine elektronische Krankenakte für Krebspatienten entwickeln. „Die Patientinnen und Patienten haben ja oft einen langen Weg durch die verschiedenen Häuser und Praxen. Erst die Diagnose beim Hausarzt, dann im Krankenhaus nochmal Untersuchungen, Operation und Bestrahlung, eventuell eine Chemotherapie beim niedergelassenen Onkologen, danach regelmäßige Nachsorgetermine, und dann kommt womöglich Jahre später der Tumor zurück.“

In dieser Zeit sammeln sich Untersuchungs- und Behandlungsergebnisse an, die mehrere Aktenordner füllen können. „Hier wollen wir die Patientinnen und Patienten entlasten und ihnen ermöglichen, alle Daten ihrer persönlichen Krankheitsgeschichte in einer elektronischen Patientenakte zusammenzuführen“, so Thun.

Strukturierte Daten

Das Problem: Die Daten aus Labordiagnostik, Pathologie, Bildgebung, Gewebeuntersuchung oder Gensequenzierung haben unterschiedliche Formate haben. Außerdem werden der Behandlungsverlauf und die eingenommenen Medikamente werden nicht oder in unterschiedlichen Sprachen dokumentiert. Nicht zuletzt enthalten die Aufzeichnungen keine Informationen darüber, wie es dem Patienten unter der Therapie wirklich geht. Das müsste der Erkrankte eigentlich selbst aufzeichnen.

„Um die Daten für die Weiterbehandlung oder für die Forschung nutzen zu können, müssen sie aber in strukturierter Form vorliegen und idealerweise sowohl menschen- als auch maschinenlesbar sein “, erklärt Sylvia Thun. „Unser Ziel ist es, alle Krankheitsdaten in standardisierter Form zu erfassen und so zu strukturieren, dass der Krebspatient und die Krebspatientin ihre persönlichen Daten in ihrer elektronischen Patientenakte mitnehmen können und wann und wie sie möchten ihrem Arzt oder Ärtzin beziehungsweise der Forschung zur Verfügung stellen können.“

Mithilfe von Künstlicher Intelligenz und internationaler Netzwerke, die in den standardisierten Sprachen miteinander kommunizieren, könnte dann die an am besten geeignete Therapie für den einzelnen Patienten gefunden werden. Mithilfe der gemeinsam ausgewerteten Daten vieler Krebspatienten könnten aber auch ganz neue Zusammenhänge aufgedeckt werden, die im Idealfall die zu neuen Behandlungsformen führen.