Ein elektronisches System soll künftig dafür sorgen, dass bei Großschadensfällen die Versorgung der Verletzten reibungsloser und schneller funktioniert. Das neue System mit dem Namen RescueWave soll die Einsatzführung effizienter machen. Die Idee dafür stammt unter anderem aus dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Die Reihenfolge, nach der Opfer bei einem sogenannten „Massenanfall von Verletzten“ erstversorgt und abtransportiert werden, wird bisher nach einem System festgelegt, das aus der Militärmedizin stammt: Farbige Anhängekarten entscheiden über die Priorität eines medizinischen Notfalls. Diese Aufgabe soll nun RescueWave übernehmen. Anstelle von Karten verteilt der Notarzt elektronische Sichtungsgeräte, die es erlauben, Betroffene und Verletzte automatisch zu lokalisieren, Patienteninformationen zu erfassen und in Echtzeit an die Einsatzleitung zu übermitteln.
Gezielte Koordination der Rettungskräfte
Die Einsatzleitung kann mithilfe der Daten aus den funkvernetzten Geräten und einer speziell auf den Einsatz zugeschnittenen Software Fahrzeuge und Einsatzkräfte vor Ort koordinieren. Dadurch sollen die Helfer auch unter chaotischsten Bedingungen nach Dringlichkeit zu den Opfern geschickt werden können. Durch die technischen Möglichkeiten der Vernetzung können auch Krankenhäuser, Leitstellen und Krisenstäbe angebunden werden. Alle ermittelten Informationen stehen Einsatzleitung und Führungskräften jederzeit zur Verfügung; Karten, Strichlisten, Klemmbretter und Kladden sollen überflüssig und Missverständnisse vermieden werden, so dass Entscheidungen schneller und auf gesicherter Datengrundlage getroffen werden können.
Die Grundidee zu RescueWave kam Professor Wilhelm Stork vom Institut für Technik der Informationsverarbeitung (ITIV) des KIT und Direktor am FZI Forschungszentrum Informatik beim Anschauen einer TV-Dokumentation zum Unfall von Eschede. Beim schwersten Zugunglück in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland entgleiste 1998 ein ICE. Damals kamen 101 Menschen ums Leben und 88 wurden schwer verletzt. „An die 3.000 Rettungskräfte mit fast 250 Fahrzeugen waren damals an der Rettung beteiligt, aber die Lage war höchst unübersichtlich“, so der Eindruck von Prof. Stork.
Der Leiter des Bereichs Mikrosystemtechnik am ITIV initiierte innerhalb des Graduiertenkollegs Sensornetze am KIT ein Projekt. Zusammen mit dem damalige Doktorand Ashok Kumar Chandrasekaran wurden die Grundlagen der Lösung geschaffen. Das softwaregestützte System RescueWave für mehr Ordnung im Chaos. Sowohl die Forschung am KIT als auch die weiterführende am FZI Forschungszentrum Informatik am Karlsruher Institut für Technologie erfolgte mit den Partnern VOMATEC Innovations GmbH und antwortING Beratende Ingenieure PartGmbB. Die Weiterentwicklung zur Marktreife verantwortete das Technologieunternehmen ITK Engineering.
Lange Entwicklungszeit
Zwischen Idee und finaler Umsetzung vergingen mehr als zehn Jahre. Das lag vor allem an der Komplexität der Problemstellung geschuldet, wie Dr. Stephan Heuer, der die Systemumsetzung bei ITK Engineering leitete und wissenschaftlicher Mitarbeiter am FZI war, erläutert: „Technische Systeme im Rettungsdienst sind immer besonders anspruchsvoll. In einer Situation maximaler Belastung müssen sich Rettungskräfte voll auf ihre eigentliche, notfallmedizinische Arbeit konzentrieren können.“ Ein Assistenzsystem dürfe daher keine unnötigen Entscheidungen vom Anwender verlangen, es müsse übersichtlich, intuitiv bedienbar und zudem robust sein. „Die RescueWave-Sichtungsgeräte sind beispielsweise auf Temperaturen zwischen minus 20 und plus 50 Grad Celsius ausgelegt und spritzwassergeschützt“, so Dr. Heuer.
Erfolgreicher Praxistest
In einem Praxistest durch Katastrophenschutzeinheiten aus dem rheinland-pfälzischen Landkreis Germersheim hat sich das System bereits bewährt. Wilhelm Stork ist zuversichtlich, dass es sich am Markt durchsetzen wird: „Das Konzept hat auf der Fachmesse RETTmobil 2017 unter Katastrophenschützern voll eingeschlagen. Mehrere deutsche Großstädte und Landkreise haben bereits Interesse bekundet.“