Mit Machine Learning gegen Therapieabbruch

Überforderung, Verzweiflung, Selbsthass: Solche Gefühle gehören für viele Menschen mit einer Borderline- oder posttraumatischen Belastungsstörung zum Alltag. Auch wenn die Behandelnden großes Fingerspitzengefühl aufbringen, brechen viele der Patienten ihre Therapie ab. Eine App soll dabei helfen, diese Abbrüche künftig zu verhindern.

Eine Forschergruppe unter Leitung von Prof. Dr. Bernhard Humm vom Fachbereich Informatik der Hochschule Darmstadt (h_da) will drohende Therapieabbrüche mittels Machine Learning voraussehen. Die Idee zu der digitalen Unterstützung für die Patienten stammt von Professor Dr. Martin Bohus, Leiter des Instituts für Psychiatrische und Psychosomatische Psychotherapie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) mit Sitz in Mannheim. Seine Patienten leiden häufig an einem so starken seelischen Druck, dass sie die anstrengende therapeutische Beschäftigung mit dem Problem beenden wollen und es zu einem Therapieabbruch kommt.

Als Experte für künstliche Intelligenz (KI) steuert Bernhard Humm sein Know-how im Machine Learning bei. Der Professor für Software Engineering und Projektmanagement am Fachbereich Informatik der h_da ist verantwortlicher Konsortialführer des Projekts. Für die Programmierung der Software ist die Deuschel & Schüller GbR aus Groß-Umstadt zuständig. 

Mithilfe der gemeinsam entwickelten App können Patienten via Smartphone Fragen zu ihrem aktuellen seelischen Zustand zu beantworten. Solche Abfragen sind fester Bestandteil der Dialektisch-Behavioralen Therapie. Sie helfen dabei, den Therapieverlauf zu überwachen, zu analysieren und anzupassen. Allerdings mussten Patienten dazu bislang Papierfragebögen beantworten. Zusätzlich ermöglicht die App das Führen eines digitalen Tagebuchs.

Therapieabbruch vorhersagen

Die Anwender loben die Nutzerfreundlichkeit der App. Sie verschafft den Patienten einen besseren Überblick über die Therapie und bestärkt sie darin, bestimmte Aspekte in der Therapiesitzung anzusprechen. Die Ausfüllrate der digitalen Fragebögen liegt mit 80 bis 85 Prozent deutlich höher als die auf Papier. Die Therapeuten erhalten detaillierte Auswertungen.

Der lernende Algorithmus verarbeitet die Eingaben der Patienten. Auf diese Weise sollen Muster erkannt werden, die einem Therapieabbruch zugrunde liegen. So wollen die Wissenschaftler in Zukunft eine Vorhersagegenauigkeit von 80 Prozent erreichen.

Über die Software-Architektur soll der Schutz der sensiblen Daten sichergestellt werden. Dazu trennt die App die Patientennamen von den medizinischen Daten und speichert keine persönlichen Angaben. Trotzdem ist es möglich, dass sich die Patienten und Therapeuten die Auswertung in der Therapiesitzung gemeinsam ansehen können.

Erste Erfolge in der Praxis

Inzwischen nutzen auch die Klinik für Psychiatrie der Goethe-Universität in Frankfurt am Main sowie eine psychosomatische Klinik im kanadischen Vancouver die App. Eine eigens programmierte Spracherkennung entwickeln die Projektpartner derzeit weiter. Sie soll künftig an Parametern wie der Stimmhöhe im Vergleich zum Normalzustand oder der Wortfrequenz erkennen können, wie es dem jeweiligen Patienten geht. Die App könnte damit auch für weitere Anwendungen in Kliniken und anderen Institutionen interessant sein.

Das Projekt wurde bis Ende 2018 mit 300.000 Euro für Personal- und Sachkosten aus dem Forschungsförderungsprogramm LOEWE unterstützt. Nun wird die erfolgreiche hessisch-badische Zusammenarbeit von Psychologen und Informatikern fortgeführt. Das Konsortium plant einen Antrag auf Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). So soll die Entwicklung einem größeren Patientenkreis zugänglich gemacht werden.