Psychisch kranke Avatare im Medizinstudium

Ab dem Sommersemester 2020 können Medizinstudierende der Ruhr-Universität Bochum (RUB) psychiatrische Untersuchungsgespräche mit Avataren führen. Mithilfe einer Virtual-Reality-Brille sollen die Studierenden diese Avatare in einem dreidimensionalen Raum zur Untersuchung (Exploration) treffen. 

„Das ermöglicht es den Studierenden, mit Patienten aller Krankheitsbilder und Schweregrade zu üben und das Panorama zu erweitern“, sagt Projektleiterin Privatdozentin Dr. Paraskevi Mavrogiorgou von der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin. Denn bei der Diagnostik psychischer Erkrankungen ist nicht nur wichtig, was der Patient dem Untersuchenden im Gespräch antwortet. Auch das Verhalten spielt eine wichtige Rolle: Wie klingt die Stimme des Patienten? Sieht die Person ihrem Gegenüber in die Augen? Wie ist die Körperhaltung? Tigert er oder sie ruhelos herum? Ist das Gesicht versteinert oder lebendig? „All diese Dinge beobachtet und bewertet eine erfahrene Ärztin oder ein erfahrener Arzt im Gespräch mit dem Patienten – das können Mimikveränderungen im Millisekundenbereich sein“, so Paraskevi Mavrogiorgou.

Pionierarbeit

Dieses Gespür müssen Medizinstudierende erst noch entwickeln. Das allerdings ist im laufenden Betrieb oftmals schwierig. „Im Universitätsklinikum sehen wir vor allem schwerkranke Patienten“, so die Ärztin. Sie zur Teilnahm am Unterricht mit Studierenden zu motivieren sei schwierig. Außerdem seien diese Patienten oft nicht mit denen zu vergleichen, die die angehenden Ärzte in ihrer Berufspraxis wahrscheinlich häufig sehen würden. Die Avatare sollen hier für Abhilfe sorgen. „Das hat international unseres Wissens noch niemand gemacht, damit sind wir die ersten“, sagt Prof. Dr. Georg Juckel, Ärztlicher Direktor der Klinik.

Seit mehreren Jahren arbeiten Paraskevi Mavrogiorgou und Georg Juckel an der Vorbereitung für die Avatare. (Foto: Roberto Schirdewahn)

Die vorbereitenden Arbeiten dauerten zwei bis drei Jahre. Nun müssen die virtuellen Personen noch inhaltlich bestückt werden. „Sie brauchen eine Biografie, eine Vorgeschichte“, erklärt Paraskevi Mavrogiorgou. „Und sie müssen in der Lage sein, gemäß ihrer psychischen Erkrankung auf bestimmte Schlüsselfragen zu antworten.“ Hunderte Seiten Anweisungen für Dialoge existieren bereits.

Feinarbeit erforderlich

Damit die Avatare auch in ihrer Mimik und ihren Bewegungen überzeugen, wollen die Mediziner mit einer kommerziellen Firma zusammenarbeiten. Dieses Unternehmen ist auf Visualisierungen unter anderem im Medizinbereich spezialisiert. Je nach psychischem Problem soll die Körpersprache jedes Avatars angepasst werden. Die digitalen Stellvertreter können in einem Gespräch sitzen, stehen, liegen oder herumlaufen. Auch ihre Mimik soll dem geübten Beobachter Aufschluss über die zugrundeliegende Erkrankung geben können. „Jede dieser Mimikbewegungen muss der Programmierer einzeln gestalten“, verdeutlicht Georg Juckel den enormen Aufwand. Das sei wie früher bei den Trickfilmen von Walt Disney und jetzt bei den Computerspielen. 

Das Projektteam rechnet damit, dass die Avatare im Frühjahr 2020 erste Gehversuche machen. Im Sommersemester 2020 sollen dann die ersten Studierenden Gespräche mit den psychisch kranken Avataren führen.