Meinungsbildung in Millisekunden

Freiburger Wissenschaftler haben jetzt Mikroprozesse entschlüsselt, die in unserem Gehirn bei der unbewussten Bewertung sozialer Gruppen ablaufen.

Liebe auf den ersten Blick gibt es nicht? Falsch! Innerhalb von wenigen Millisekunden bewerten Menschen ihr Gegenüber und entscheiden, ob die Person ihnen sympathisch ist oder nicht.

Der Freiburger Psychologe und Neurowissenschaftler Dr. Bastian Schiller hat mit einem Team an der Universität Basel/Schweiz erstmals herausgefunden, welche unbewusst ablaufenden Hirnprozesse in welcher zeitlichen Abfolge dafür verantwortlich sind, dass Menschen soziale Informationen wie zum Beispiel Sympathie oder Antipathie verarbeiten. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe des US-amerikanischen Fachjournals „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) erschienen.

Die Forschenden haben für ihre Studie den so genannten Impliziten Assoziationstest (IAT) genutzt. Die Probandinnen und Probanden reagieren dabei auf positive und negative Wörter sowie auf Begriffe, die sie mit der eigenen oder einer fremden Gruppe verknüpfen. Schiller und das Schweizer Forschungsteam um Professor Dr. Daria Knoch und Dr. Lorena Gianotti haben den IAT unter anderem bei Fußballfans angewendet.

Während die Probanden auf Begriffe wie „Liebe“, „Tod“ oder die Namen von Spielern der eigenen und gegnerischen Mannschaft reagierten, hat das Team mit einem Elektroenzephalogramm die Hirnströme der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemessen. Ziel der Forschungsgruppe war es, die einzelnen kognitiven Verarbeitungsschritte und deren Dauer während unbewusster sozialer Bewertungen zu untersuchen. Dazu wurden erstmals so genannte funktionelle Mikrozustände im Gehirn analysiert. Diese sind kurze, teilweise nur wenige Millisekunden anhaltende Phasen, in denen ein neuronales Netzwerk aktiv ist, um einen bestimmten Verarbeitungsschritt auszuführen.

In der Forschung war bereits bekannt, dass die Reaktionszeit im IAT länger ist, wenn Menschen fremde Gruppen mit positiven Eigenschaften verknüpfen. Schiller fand bei der Analyse der Mikrozustände heraus, dass die längeren Reaktionszeiten nicht etwa auf zusätzliche Verarbeitungsschritte im menschlichen Gehirn zurückzuführen sind, sondern dass einzelne Schritte länger dauern.

„Diese Studie demonstriert das Potenzial der modernen elektrophysiologischen Bildgebung, wenn es darum geht, die Entstehung und den Verlauf sozial relevanter Gehirnprozesse beim Menschen zu verstehen“, erläutert Schiller. In der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Markus Heinrichs an der Albert-Ludwigs-Universität untersucht er inzwischen, inwieweit diese Erkenntnisse für die Diagnostik und Therapie psychischer Erkrankungen mit sozialen Defiziten nutzbar gemacht werden können.

Das trinationale neurowissenschaftliche Forschungsnetzwerk NEUREX unterstützt die am Institut für Psychologie der Universität Freiburg laufende Forschung mit Projektmitteln. Das Netzwerk ist Teil von „Eucor – The European Campus“, dem Universitätsverbund am Oberrhein zwischen Freiburg, Basel, Mulhouse-Colmar, Strasbourg und Karlsruhe.