Deutsche Kliniken in Finanznot: Viele Krankenhäuser können trotz steigender Umsätze keinen Überschuss erwirtschaften. Das hat auch Auswirkungen auf die Digitalisierung. Obwohl die meisten Häuser bereits eine Digitalstrategie haben, wird sie vielfach aus finanziellen Gründen nicht umgesetzt und die notwendigen IT-Kapazitäten werden nicht aufgebaut. Zu diesem Ergebnis kommt die „Krankenhausstudie 2017“, für von der Unternehmensberatung Roland Berger die Vorstände und Geschäftsführer der 500 größten deutschen Krankenhäuser befragt worden sind.
„Fehlen Krankenhäusern die notwendigen Investitionsmittel für eine digitale Verbesserung der Prozesse, so werden viele Maßnahmen, die zur Kostensenkung führen, nicht implementiert. Dazu gehören etwa neue digitale Medizinkonzepte und ein effizienterer Umgang mit Patientenakten“, sagt Oliver Rong, Partner von Roland Berger und Leiter der Healthcare Practice in Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Außerdem leidet die IT-Sicherheit darunter, wenn IT-Systeme durch Hackerangriffe gefährdet werden. Denn schließlich geht es hier um den Schutz sensibler Patientendaten und im Extremfall um den Erhalt des Gesamtbetriebs einer Klinik.“
Krankenhäuser in Geld-Not
Auf den ersten Blick sieht die Lage noch positiv aus: Der Umsatz der befragten Krankenhäuser steigt. Immerhin 96 Prozent der deutschen Kliniken haben im Jahr 2016 mehr umgesetzt als im Vorjahr. „Vor allem Fachbereiche mit einem hohen Anteil an älteren Patienten, wie die Neurologie und die Kardiologie, bleiben Wachstumstreiber“, erklärt Peter Magunia, Leiter der Roland Berger Healthcare Practice Deutschland. Doch der wirtschaftliche Druck auf die Kliniken nehmen laut Magunia ebenfalls weiter zu: „Sach-, Personal- und Infrastrukturkosten steigen überproportional zum Umsatz.”
Die Anzahl der Kliniken, die einen Überschuss vorweisen können, ist daher auf 59 Prozent gesunken – 2015 waren es noch 72 Prozent. Für die kommenden Jahre erwartet die Mehrheit (60 Prozent) der befragten Krankenhausmanager zudem eine weitere Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation. Um profitabel zu wirtschaften, müssten die Kliniken aufgrund des Krankenhausfinanzierungssystems effizienter werden und Reserven aufbauen – doch das gelingt ihnen nicht. „Viele Krankenhäuser setzen immer noch auf klassische Maßnahmen und bemühen sich zum Beispiel, ihren Verbrauch von medizinischen Sachgütern zu optimieren und stationäre Erlöse zu steigern“, sagt Rong. Derartige Maßnahmen reichten heute allerdings nicht mehr aus, um die Ergebnisse langfristig zu verbessern. Das Management müsse vielmehr über eine strategische Neuausrichtung der gesamten Versorgungskette nachdenken. Dazu zählen beispielsweise der Ausbau ambulanter Angebote und die Digitalisierung. 83 Prozent der Kliniken arbeiten bereits an Initiativen, um stationäre Leistungen in den ambulanten Sektor auszulagern. Sie versuchen eigene ambulante Strukturen aufzubauen, wie medizinische Versorgungszentren (MVZ) oder ambulantes Operieren im Krankenhaus. „Allerdings ist dieser Prozess nicht immer erfolgreich“, sagt Magunia und ergänzt: „Nicht immer entlasten die MVZ die stationären Krankenhausbereiche in dem gewünschten Ausmaß.” Darüber hinaus klagen die MVZ über einen erheblichen Fachkräftemangel.
Digitalisierung kommt nicht in Fahrt
Die Digitalisierung der deutschen Kliniken kommt nur schleppend voran. Zwar haben 90 Prozent der Einrichtungen inzwischen eine eigene Digitalstrategie, die dabei helfen soll, viele Prozesse schneller, effizienter und kostengünstiger zu gestalten. Immerhin ein Drittel der Befragten konnte die Krankenhausergebnisse dank digitaler Maßnahmen verbessern. „Das zeigt, dass die Krankenhäuser im Digitalbereich heute zielgerichteter investieren“, erläutert Rong. „Sie nutzen ihre Erfahrungen aus den vergangenen Jahren, um genau in die Maßnahmen zu investieren, die die besten Ergebnisse mit sich bringen.”
Hacker nutzen Sicherheitslücken
Doch mangelnde IT-Infrastrukturen und Fachpersonal führen nicht selten zu Sicherheitslücken. Zwei Drittel der Befragten haben eingeräumt, bereits Opfer von Cyber-Angriffen gewesen zu sein. „Das ist für die meisten Kliniken ein großes Dilemma: Denn für eine bessere und sichere IT-Infrastruktur benötigen Krankenhäuser weitere Investitionsmittel“, so Magunia. Eine optimale Digitalisierung können klinische Einrichtungen seiner Einschätzung nach nur im Rahmen einer breiteren Geschäftsstrategie stemmen. „Kosteneinsparungen und Investitionen in relevante Bereiche müssen Hand in Hand gehen, damit Krankenhäuser wirtschaftlich bleiben“, rät Magunia.
Zu einer solchen Strategie zähle auch die Möglichkeit, Kooperationen mit Startups im Digital Health-Bereich zu initiieren, um neue Lösungen für eine bessere Patientenversorgung zu entwickeln. Eine Chance, die aktuell nur ein Viertel der Kliniken nutzen. „Insgesamt sind alle Maßnahmen, ihre Koordination und Umsetzung sehr komplex“, erklärt Rong. Daher sei es entscheidend für den Erfolg, dass der eingeschlagene Weg von Führungskräften und Mitarbeitern geschlossen mitgetragen werde.