Digitaler Gesundheitsmarkt wächst und wächst

Von 2015 bis 2020 soll der digitale Gesundheitsmarkt von knapp 80 Milliarden Dollar auf über 200 Milliarden Dollar wachsen und sich damit mehr als verdoppeln. Das prognostizieren jetzt die Analysten des Beratungsunternehmens Roland Berger. Das durchschnittliche jährliche Wachstum soll demnach bei 21 Prozent liegen.

„Wir sehen aktuell eine sehr große Dynamik im Gesundheitsmarkt. Junge Startups drängen mit neuen Geschäftsmodellen in den Markt“, sagt Roland Berger-Partner Thilo Kaltenbach. Gleichzeitig werde kräftig investiert. Neben den USA bleibt auch Europa sehr attraktiv für die Gründerszene. „Über 20 Inkubatoren und zahlreiche Industrieinitiativen schaffen ein sehr gutes Umfeld“, so Kaltenbach. Zusätzlich investiere die Politik, beispielsweise im Rahmen der Horizon 2020-Initiative der Europäischen Kommission, die 600 Millionen Euro für Europas digitale Zukunft bereitstelle.

Die neuen Anbieter versuchen sich mit innovativen, digitalen Geschäftsmodellen Anteile am Markt zu sichern und werden damit zur direkten Konkurrenz für die traditionellen Unternehmen der gesamten Wertschöpfungskette. Als Ergebnis ihrer Studie „Digital and Disrupted: All change for Healthcare – How can pharma companies flourish in a digitized healthcare world?“ raten die Experten deshalb allen Marktteilnehmern zum schnellen Handeln, um sich rechtzeitig für die Digitalisierung zu wappnen.

Mobilfunk als Treiber

„Die Digitalisierung erweitert den Gesundheitsmarkt um zusätzliche Marktsegmente“, sagt Roland Berger-Partner Morris Hosseini. Von der P4-Medizin, die für eine prädiktive, präventive, personalisierte und partizipative Behandlung steht, könnten unter anderem die Krebsfrüherkennung sowie immunologische Indikationen profitieren.

Als Treiber für die Digitalisierung der Branche gilt vor allem das Segment für mobile Dienste, wie zum Beispiel Apps für Smartphones. In diesem Segment liegt das jährliche Wachstum bei über 40 Prozent. So sollen sich beispielsweise anhand gesundheitsrelevanter Rahmendaten bestimmte Krankheiten feststellen lassen. Dabei erfasst das Smartphone als täglicher Begleiter Werte, wie zum Beispiel den Blutdruck, die Körpertemperatur oder die Schlafgewohnheiten. Auf dieser Basis soll die App Erstdiagnosen erstellen können und seinem Besitzer bei Bedarf einen Arztbesuch oder direkt die passende Medikation empfehlen. So könnte zum Beispiel eine Schilddrüsenüberfunktion frühzeitig diagnostiziert und behandelt werden.

Digitalisierung betrifft alle

Die Digitalisierung wirkt sich auf den gesamten Gesundheitsmarkt aus und reicht von Diagnosen und Therapien durch Information-guided Therapy über Anwendungen auf Basis von Metabolomics und Microbiomics bis hin zu Stammzelltherapien mit Hilfe des Genomeditings. Daher betrifft der digitale Wandel im Gesundheitsmarkt nicht nur alle Unternehmen, sondern auch Ärzte, Apotheker, Patienten und Regierungen. So entwickeln Pharmakonzerne zusammen mit großen Technologieanbietern bereits heute neue Produkte, um die Wirkung ihrer Medikamente zu testen. Die digitale Auswertung von Gesundheitsdaten könnte zu einer individuellen Medikation des Patienten führen, ohne dass dafür Ärzte oder Apotheker konsultiert werden müssen. Für Firmen, die medizintechnische Geräte produzieren, könnte die Zukunft in der Vernetzung via Internet of Things (IoT) liegen. Ein Datenaustausch mit anderen Geräten und eine Echtzeitüberwachung können nach einer Operation Schwerpunkte für die Nachbehandlung identifizieren.

Die Marktforscher halten neue Geschäftsmodelle entlang der gesamten Wertschöpfungskette für möglich. „Patienten können sich schon heute weltweit Ärztemeinungen über das Internet einholen. Mit zusätzlichen Daten sind komplette Onlinediagnosen mit neuen Bezahlmodellen denkbar“, so Kaltenbach. Apotheker werden mithilfe eines 3D-Druckers Medikamente mit personalisierter Dosierung herstellen. Ebenso sollten sich Versicherungskonzerne und Regierungen auf die neuen digitalen Rahmenbedingungen einstellen.

Nach Einschätzung des Experten werden elektronische Patientenakten eine schnellere und effizientere Krankenbehandlung ermöglichen und können so in den kommenden fünf Jahren die Kosten für die Gesundheitssysteme weltweit um 80 Milliarden Dollar senken. Der Marktforscher geht davon aus, dass durch die Digitalisierung von Daten und Diensten die nationalen Grenzen fallen werden, in denen sich Gesundheitssysteme heute bewegen. „Versicherungen sollten daher zukünftig ihr Angebot internationaler ausrichten und Regierungen nationale regulatorische Rahmenbedingungen harmonisieren“, rät Kaltenbach.

Herausforderung annehmen

Auf die etablierten Unternehmen kommen gleich mehrere Herausforderungen zu. Neben der Digitalisierung der Wertschöpfungskette stellt die Konkurrenz von neuen Marktteilnehmern die größte dieser Herausforderungen für etablierte Anbieter im Gesundheitsbereich dar. Denn unterstützt durch die neuen Technologien erhalten branchenfremde Akteure heute Zugang zu Fachwissen, das bis dato nur die Branche selbst hatte. Neben Startups machen auch Technologiekonzerne den etablierten Anbietern Konkurrenz. Darauf sollten sich Firmen im Gesundheitswesen nach Einschätzung von Kaltenbach schnell vorbereiten. Sein Rat:  „Traditionelle Unternehmen sollten sich kulturell und strukturell für Innovationen öffnen und die Digitalisierung jetzt aktiv vorantreiben, um gegenüber neuen Anbietern nicht ins Hintertreffen zu geraten.“