Wo Digital Health-Lösungen noch scheitern

DiGA stecken in Deutschland nach wie vor in den Kinderschuhen. Ein Grund ist mangelnde Digitalaffinität bei vielen Ärzten (Foto: akkamulator/123rf.com)

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland schreitet voran. Allerdings sind Digital Health-Lösungen längst nicht überall angekommen, wie zwei aktuelle Studien deutlich zeigen. Eine der Studien fördert zudem Besorgniserregendes zutage.

Laut dem Barmer-Arztreport 2024 gibt es beim Einsatz Digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) wie etwa zertifizierten Gesundheits-Apps nach wie vor viele Unsicherheiten. Für den Report wurden rund 1.700 Patientinnen und Patienten sowie 1.000 Ärztinnen, Ärzten, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit Patientenkontakt befragt. Mit ernüchterndem Ergebnis: Zwar ist die Verordnung von DiGA auf Rezept bereits seit Herbst 2020 möglich, in der ärztlichen Versorgung angekommen sind sie jedoch nicht. In zwölf Monaten vor der Befragung Ende 2023 hatten 44 Prozent der Behandelnden keine DiGA verordnet, ein Drittel beurteilt den eigenen Kenntnisstand zum Thema als schlecht. 

Digital Health-Lösungen: DiGA-Einsatz steckt nach wie vor in den Kinderschuhen

Unter den befragten Versicherten nutzten etwa 600 Personen den digitalen Helfer nicht über die vorgesehene Erstanwendungsdauer von 90 Tagen, darunter 230 weniger als einen Monat. „Die Inhalte der digitalen Anwendungen müssen unbedingt einheitlich und verständlicher als bislang im DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte dargestellt werden“, so die Forderung des Barmer-Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. med. Christoph Straub. Davon würden sowohl die Leistungserbringenden als auch die Patientinnen und Patienten profitieren, und dies würde letztlich dazu beitragen, dass die Hürden beim Einsatz abgebaut werden und DiGA in der Versorgung ankommen, ist Straub überzeugt. 

„Der Einsatz von DiGA steckt noch in den Kinderschuhen. Auf längere Sicht können sie aber ein wertvoller Bestandteil in der Versorgung der Patientinnen und Patienten werden. Das Fundament hierfür ist mehr Transparenz“, so Prof. Dr. med. Joachim Szecsenyi, Autor des Arztreports und Geschäftsführer des aQua-Instituts in Göttingen. Er betont, dass DiGA noch nicht in allen Bevölkerungsgruppen angekommen sind. Sie werden vor allem Menschen im erwerbsfähigen Alter verordnet. „Geringe Verordnungsraten bei Jüngeren resultieren aus dem oftmals für DiGA-Anwendungen geforderten Mindestalter von 18 Jahren. Niedrige Verordnungsraten bei Menschen jenseits des 70. Lebensjahres deuten auf eine bislang geringere Affinität zu digitalen Anwendungen hin“, so Szecsenyi. 

Ob DiGA verschrieben werden, hängt stark von der Digitalkompetenz dern Verordnerinnen und Verordner ab. Denn es sind zwar 47 Prozent der sind der Meinung, dass eine DiGA die Behandlung häufig oder sehr häufig sinnvoll unterstützt. Aber längst nicht immer wird eine solche Anwendung verordnet, was oft an einer geringen digitalen Affinität liegt. 

Digital-Health-Lösungen: Patienten auf internationalen Abwegen

Gehen die Patientinnen und Patienten längst eigene Wege? Die Studie EPatient Survey 2024, für die rund 6.000 Teilnehmern in Deutschland befragt wurden sind, legt das nahe. Demnach bauen globale Anbieter von Plattformen, Tracking-Lösungen und Consumer Technology ihre Marktanteile kontinuierlich aus. Laut den Umfrageergebnissen werden Plattformen und Lösungen von Big-Tech- und Social-Media-Konzernen von Anwendern in Deutscghland zunehmend für das Konsumieren, Informieren und Tracken von Vitaldaten bevorzugt. Abgesehen vom E-Rezept, stagnieren oder verlieren gleichzeitig nationale Digital Health-Lösungen an Marktanteil.

Vitaldaten von zwölf Millionen Deutschen landen in den USA und Südkorea

Als besonders bemerkenswert bewerten die Studienautoren des EPatient Survey das solide Wachstum von Tracking-Apps zur Messung von alltäglichen und medizinisch relevanten Vitalwerten. Führende Anbieter in diesem Segment sind Samsung, Apple und Google (mit fitbit). Das bestätigte den globalen Trend der digitalen Transformation im Fokus Daten und Devices, der auch in Deutschland spürbar sei, heißt es.

Unter den Smartphone-Nutzern in Deutschland (85 Prozent der Bevölkerung) stieg das digitale Trackingverhalten von 18 Prozent im Jahr 2021 auf 23 Prozent im Jahr 2023. Acht von zehn Nutzern setzen dabei auf Lösungen von internationalen Big-Tech- oder Consumer-Electronics-Anbietern, was bedeutet, dass die Vitaldaten von rund zwölf Millionen Deutschen auf Servern in den USA und Südkorea gespeichert sind.

Konkrete Digital Health-Anwendungen wie strukturierte Gesundheitskurse verzeichnen nach einem starken Rückgang nach dem Lockdown eine Stagnation, während die Online-Videosprechstunde leicht von 17 Prozent auf 14 Prozent zurückgeht. Die Online-Psychotherapie brach weniger stark ein (von zwölf Prozent auf elf Prozent und wurde von knapp jedem zweiten Anwender sogar im letzten Monat zuletzt verwendet.

Digital Health: Nur wenige Patienten-Apps sind DiGA

Vier von zehn deutschen Onlinern (90 Prozent der Bevölkerung) nutzen laut EPatient Survey zumindest gelegentlich eine App ihrer Krankenkasse oder Krankenversicherung, wobei jüngere Altersgruppen dies häufiger tun als ältere.

Es gibt auch deutliche Bewegungen im Bereich digitaler Versorgungsszenarien, wie beispielsweise im Vertrieb von Patienten-Apps über Arztpraxen. Der Anteil der Personen, die eine App von ihrer Arztpraxis erhalten haben, stieg innerhalb von zwei Jahren von sechs Prozent auf zwölf Prozent. Eine genauere Analyse zeigt allerdings: Es handelt es sich dabei eher weniger um digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) nach dem Digitale Versorgung Gesetz sondern mehrheitlich um Apps für das verordnete Medizingerät (etwa für Blutdruck oder Blutzucker) oder Apps im Kontext Medikamenteneinnahme.

Qualität in Gefahr?

Die Studienautoren warnen davor, dass die vermehrte Nutzung von Big-Tech- und Social-Media-Plattformen für Gesundheitsthemen, insbesondere durch jüngere Bevölkerungsschichten, birgt Herausforderungen für eine nachhaltige und national steuerbare Gesundheitskompetenz sowie für datenbasierte Prävention und Therapie. Insbesondere führende Social-Media-Plattformen entwickelten sich derzeit zu einem politik- und sachfreien Raum, in dem infotainment-ähnliche Kurzvideos verschiedener Absender neben tendenziell eher extremen Agenda Setting-Akteuren zunehmend dominieren. Prof. Dr. Klaus Hurrelmann von der Hertie School in Berlin kommentiert: „Durch die Verzögerung der digitalen Transformation im deutschen Gesundheitssystem setzen sich internationale Internetkonzerne mit ihrem werbe- und datengetriebenen Angebot immer weiter durch, was die Qualität der Kommunikation über Gesundheit und Krankheit massiv beeinträchtigt.“