Wie Kliniken das Potenzial digitaler Patientenportale ausschöpfen

Dr. Carol Wildhagen ist Deutschland-Geschäftsführerin von 24Health. (Foto: 24Health)
Dr. Carol Wildhagen ist Deutschland-Geschäftsführerin von 24Health. (Foto: 24Health)

Der Druck auf Krankenhäuser wächst. Diverse Neustrukturierungsmodelle sollen Abhilfe schaffen. Dabei wird die Digitalisierung als ein entscheidendes Element oft verkannt. Warum wir die Versorgung deutlich digitaler denken müssen als bisher, erläutert Dr. med. Carol Wildhagen in ihrem Gastbeitrag. Die Ärztin ist Deutschland-Geschäftsführerin des Telemedizinanbieters 24Health.

Gastbeitrag von Dr. med. Carol Wildhagen

Die Lage scheint paradox: Auf der einen Seite sind die Notaufnahmen nicht erst seit Corona chronisch überlastet. Berichte von abgewiesenen Notarztwagen fanden auch vor der Pandemie immer wieder ihren Weg in die Medien. Auf der anderen Seite aber kam eine Bertelsmann-Studie 2019 zu dem Schluss, dass jede zweite Klinik hierzulande überflüssig ist. Die Pandemie hat an der Einschätzung nichts Wesentliches geändert. „Wir haben zurzeit 1900 Krankenhäuser, 1200 wären genug“, sagt im Juli vergangenen Jahres der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), Josef Hecken. Nun werden aus den Forderungen konkrete Pläne: Nach ersten öffentlichen Berichten plant beispielsweise die niedersächsische Landesregierung eine völlig neue Strukturierung der Krankenhäuser. Ressourcen sollen effizienter eingesetzt, ungenutzte Betten und Stationen abgebaut werden. Weitere Umstrukturierungen werden bundesweit folgen.

Doch das scheinbare Paradoxon ist durchaus lösbar. Wir müssen die Versorgung nur deutlich digitaler denken als bisher. Ein wichtiges Element dafür sind Patientenportale, eine Art digitale Eingangstür in die Kliniken. Schaffen wir es, sie in den kommenden Jahren sinnvoll einzusetzen, schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: Wir entlasten die Notaufnahmen, weil wir Patienten virtuell beraten können, noch bevor sie überhaupt in die Klinik kommen. Einer Analyse des Verbands der Ersatzkassen (vdek) und des aQua-Instituts von 2017 zufolge gehen etwa ein Drittel aller Besucher unnötigerweise in die Notaufnahmen. Und wir können Patientenströme so lenken, dass die stationäre Versorgung gleichzeitig medizinisch sinnvoll und wirtschaftlich tragbar ist. 

Digital integrierte Gesundheitsversorgung

Das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) des Bundesgesundheitsministeriums hat bereits den ersten Grundstein gelegt: Patientenportale sind im Fördertatbestand 2 des KHZG kategorisiert. Damit sind sie für Krankenhäuser sogar gesetzlich verpflichtend geregelt. Gute Karten für die Zukunft werden vor allem all jene Häuser haben, die nicht nur einen Haken an Muss-Kriterien setzen, sondern ein klares Bild davon entwickeln, welchen Beitrag ein Patientenportal zu einer digital integrierten Gesundheitsversorgung leisten und somit Versorgungsqualität und Wirtschaftlichkeit in Einklang bringen kann. 

Im Krankenhaus müssen die Bereiche und Wege des Patienten digitalisiert werden, die sich sinnvoll digitalisieren lassen. Mit dem Ziel, Zeit für Administration, Verwaltung, Dokumentation oder auch unnötige Konsultationen einzusparen und dorthin zu lenken, wo es sie braucht: in den Behandlungsraum und das Miteinander von Arzt und Patient. Bestmöglich integriert in das bestehende System. 

Digital-Vorbild Schweden: leichter Zugang zu Versorgung 

Schweden gilt als Vorreiter in Sachen digital integrierte Gesundheitsversorgung.  24Health hat als größter Telemedizin-Anbieter im skandinavischen Raum bereits 80 Prozent der privat Versicherten und 50 Prozent der gesetzlich Versicherten auf seiner digitalen Plattform – über 3,5 Millionen Menschen. Pro Monat finden über 500.000 digitale Patientenkontakte statt. Die Software stellt dem Gesundheitssystem die telemedizinische Infrastruktur und dient den Patienten als digitale Eingangstür. Digitale Anamnese und automatisierte Triage leiten ihn so schon im ersten Schritt sicher und nach bestehenden Standards der richtigen Versorgungsstufe zu. Integrierte Terminbuchungen, Video- und Chatfunktionen ermöglichen eine nahtlose weitere Reise. Treffen Patient und Arzt aufeinander – ob digital oder persönlich – sieht der Arzt auf seiner Oberfläche der Plattform bereits alle erfassten Daten und Informationen des Patienten, kann Kolleginnen, Kollegen oder weitere Dritte wie Angehörige hinzuziehen oder auch Formulare und Bilder digital teilen. 

Die Vorteile einer solch digital integrierten Versorgung sprechen für sich, wie erhobene Kennzahlen aus Schweden belegen. Bis zu 20 Prozent der Patienten auf der Plattform benötigen keinerlei menschliche Interaktion, weitere 30-40 Prozent können vollständig digital via Chat und Video versorgt werden. 20 Prozent mehr Patienten können von einer medizinischen Fachkraft versorgt werden. Im Hinblick auf den Verwaltungsaufwand sparen Ärzte im Schnitt 4-8 Minuten pro Patient. Die Patienten hingegen profitieren unter anderem von mehr Eigenverantwortung und Teilhabe sowie geringeren Wartezeiten.

Digital integrierte Versorgung ist also längst nicht mehr weit entfernte Zukunftsmusik, sondern andernorts schon Realität. In Deutschland macht das KHZG nun Tempo. Die Krankenhäuser und Kliniken haben es jetzt selbst in der Hand, das Potenzial von Lösungen wie einem Patientenportal für sich vollends zu entfalten. Dabei sollte nicht zuletzt ein Leitgedanke gelten: Krank und auf medizinische Hilfe angewiesen sein, ist häufig schwer genug. Der Zugang zu Versorgung sollte leicht sein.