Schnellere Marktreife für medizinische Produkte

Mit einem Verfahren aus dem Automobilbau sollen medizinische Produkte schneller auf den Markt gebracht werden. Fraunhofer-Wissenschaftler haben das so genannte Hardware-in-the-Loop-Verfahren jetzt auf medizinische Geräte übertragen. Mit gewaltigem Potenzial: Bis zu 50 Prozent der Entwicklungszeit und -kosten sollen sich beim Einsatz des Verfahrens einsparen lassen.

Bislang ist die Entwicklung medizinscher Geräte sehr zeitaufwändig, da große Teile der Steuerungssysteme erst konzipiert und getestet werden, wenn die Hardware fertig ist. Das soll sich mit dem Hardware-in-the-Loop-Verfahren (HiL) ändern. Das Verfahren stammt aus der Autoindustrie und erlaubt dort den Ingenieuren Komponenten parallel zu entwickeln. Statt die Steuerungsgeräte an der Hardware zu prüfen und zu riskieren, dass sie dabei beschädigt wird, erstellen die Ingenieure ein Computermodell des Autos – samt aller Details, die für die Tests von Belang sind. Damit testen sie die Steuerung, noch bevor das Fahrzeug gebaut ist. Über geeignete Schnittstellen koppeln die Ingenieure das Steuergerät an das virtuelle Auto. Das Steuergerät empfängt einerseits die Informationen vom Fahrzeug und sendet andererseits Befehle zurück, die das simulierte Auto umsetzt. Dadurch können die Entwickler eine Vielzahl von Testfällen analysieren und auch kritische Systemzustände gefahrlos und reproduzierbar untersuchen. So lässt sich dann zum Beispiel analysieren, was beim Ausfall eines Sensors passiert, ohne den Verbindungsdraht tatsächlich durchschneiden zu müssen.

Entwicklungsverfahren beschleunigen

Dieses Verfahren haben die Fraunhofer-Forscher auf moderne medizinische Geräte übertragen. Denn auch bei diesen Systemen greifen Hard- und Software stark ineinander – etwa bei einer Herzpumpe. „Die Anforderungen, die sich dabei stellen, sind ähnlich – auch bei medizinischen Produkten handelt es sich meist um komplexe Systeme“, erläutert Jonathan Schächtele, Wissenschaftler der Projektgruppe für Automatisierung in der Medizintechnik und Biotechnologie des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA.  „Zudem lassen sich Szenarien testen, die man vorher nur über manuelle Laborversuche abschätzen konnte: etwa ein Defekt des Systems“, so Schächtele weiter. Mit HiL wollen die Forscher das Entwicklungsverfahren beschleunigen und die Sicherheit des Produkts erhöhen. Die Tests laufen vollautomatisch, so dass die Medizingerätehersteller mehr Situationen testen können als bisher. Auch die Dokumentation der Testergebnisse, die bisher von Hand erledigt werden musste, läuft bei HiL automatisch.

Hilfreich ist das Verfahren beispielsweise bei der Entwicklung einer Herzpumpe, die in den Körper implantiert wird, um das Organ zu unterstützen. Das Steuerungssystem, das der Herzpumpe die passenden Befehle gibt, muss dabei sehr präzise arbeiten. Bislang wird zunächst die Herzpumpe, und danach die Steuerungssoftware entwickelt, um beide Komponenten zu kombinieren und dann manuell zu testen. Mit dem Hardware-in-the-Loop-Verfahren lässt sich die Entwicklung parallel betreiben. „Damit reduzieren wir sowohl die Entwicklungszeiten als auch die -kosten um bis zu 50 Prozent“, so Schächtele.

Die Forscher am IPA bieten das gesamte Paket an. „Wir entwerfen das Computermodell des medizinischen Produkts, realisieren die Schnittstellen zwischen Modell und Steuerungsmodul, definieren die Testfälle und führen die Testläufe durch“, sagt Schächtele. Für die automatischen Testläufe und die Dokumentation können die Wissenschaftler auf eine Art Bausatz zurückgreifen. Für das niederländische Medizintechnik-Unternehmen Soteria Medical B.V. haben die Forscher bereits die Steuerung eines Biopsie-Systems entwickelt und getestet.

Zusammengefasst:

Das Hardware-in-the-Loop-Verfahren

Je schneller ein Medizingerät die Entwicklung verlässt und in die klinische Prüfung kommt, desto besser. Allerdings greifen Hardware – etwa Pumpen, Sensoren und Schläuche – sowie die Steuerungssoftware bei modernen Medizingeräten komplex ineinander. Die Autohersteller nutzen für Entwicklung und Test solcher Systeme ein „Turbo“-Verfahren, von dem auch die Medizingeräteindustrie profitieren kann: Statt zunächst die mechanische Hardware und erst anschließend alle nötigen Steuerungskomponenten zu entwickeln, arbeiten die Ingenieure an allen Komponenten parallel. Möglich macht es Hardware-in-the-Loop: Die Entwickler testen die Steuerungselemente nicht am Gerät selbst, sondern an einem präzisen Computermodell von diesem Gerät.