Schluss mit Zettelkasten und Bettklingel!

Krankenhauszimmer
Krankenhauszimmer: Bettklingel und Zettelkasten gehören auch im Jahr 2023 zur Grundausstattung (Bild: vectorv/123rf.com)

Mit einem ganzen Bündel technischer Lösungen könnten die Prozesse im deutschen Gesundheitswesen sicherer und effizienter werden. Doch wer Fortschritt will, muss auch Entscheidungen treffen. Auf dem Future Health Day im Vorfeld der DMEA diskutierten zahlreiche Experten darüber, wie man Zettelkasten und Bettklingel bald endlich hinter sich lassen kann.

Mit ihrem neuen Event-Format Future Health Day will die Deutsche Telekom eine Veranstaltungsreihe etablieren, die im Rahmen von Diskussionen und Gesprächen einen Expertenaustausch zum Thema Digital Health auf anspruchsvollem Niveau bietet. Das ist durchaus konsequent, denn der Bonner Konzern bemerkt wohl zu Recht noch reichlich Marktpotenzial nicht nur im deutschen Gesundheitssektor, sondern auch auf internationaler Ebene. Bezogen auf den deutschen KIS-Markt verfügt die Telekom darüber hinaus über weitaus mehr Personal- und Marketing-Kraft als einige zumeist mittelständische Wettbewerber. Es dürfte also gut angelegtes Geld im Kampf um Marktanteile sein, wenn der Konzern nach dem Motto „Tue Gutes und rede darüber“ sich öffentlichkeitswirksam ins rechte Licht rückt.

Future Health Day in der Telekom-Hauptstadtrepräsentanz: „Der inoffizielle Start der #dmea23“ (Foto: mednic)

So war der Beginn der Fachmesse DMEA – oder: nach den selbstbewussten Worten von T-Systems-Gesundheitssparten-Chef Gottfried Ludewig der „inoffizielle Start der #dmea23“ –  ein klug gewählter Zeitpunkt, um im wichtigen Geschäftsfeld Gesundheit ganz offiziell noch prägnanter mitzureden. Nicht, dass die Telekom als einer der größten Aussteller auf der DMEA nichts zu präsentieren hätte (siehe Kasten), aber gerade für das so wichtige Networking ist ein eigenes Format natürlich ungleich wertvoller als ein kurzer Plausch in den trubeligen Messehallen. So kam alles, was in Berlin und darüber hinaus im Digital Health-Sektor etwas zu sagen hat, am Messe-Vorabend in die Berliner Telekom-Hauptstadtrepräsentanz, um sich dort auszutauschen. Darunter auch Gematik-Chef Markus Leyck-Dieken, dessen baldiger Abgang erst am nächsten Tag von Gabor Steingarts Medium „The Pioneer“ kolportiert wurde.

Strategien, Fallstricke und Hemmnisse

Nicht Häppchen und kühle Getränke, sondern durchaus kontroverse Meinungen standen im Rahmen der knapp zweistündigen offiziellen Runde im Mittelpunkt. „Kontrovers“ war dabei so zu verstehen, dass niemand der Anwesenden die Notwendigkeit der weiteren Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens in Abrede stellte. Vielmehr ging es um mögliche, weitere Vorwärts-Schritte, um Strategien, Fallstricke und Hemmnisse. Dabei ließ es sich der moderierende Gottfried Ludewig nicht nehmen, das Portfolio und die durchaus komplexe Struktur der Telekom-Gesundheitstöchter kurz vorzustellen. Dass mit der T-Systems International GmbH, der Deutsche Telekom Healthcare & Security Solutions GmbH und der Deutsche Telekom Clinical Solutions GmbH bei dem Bonner Konzern gleich drei Unternehmen für den Gesundheitsbereich zuständig sind, ist selbst für Insider nicht ganz einfach nachvollziehbar. Pfiffig allerdings, dem Fachpublikum dieses Konglomerat samt seiner Geschäftsführer und Sales-Manager als das „#OneHealthTeam“ vorzustellen.

Wann kommt die Digitalisierung an?

Nachdem Barmer-Vorstandmitglied Sigmar Nesch über die aktuellen und künftigen Möglichkeiten der Nutzung Digitaler Identitäten referiert hatte, folgte eine Diskussionsrunde mit der Fragestellung „Wie und wann kommt die Digitalisierung auch im Gesundheitswesen an?“. Es musste an dieser Stelle niemand anmerken, dass darüber schon seit zwei Jahrzehnten diskutiert wird. Mit der Sana-Kliniken Vorständin Stefanie Kemp, Ludewigs Nachfolgerin im Bundesgesundheitsministerium – der Abteilungsleiterin Digitalisierung & Innovation Susanne Ozegowski und dem Vorstandsvorsitzenden der Techniker Krankenkasse Jens Baas hatte die Telekom hier drei ExpertInnen aus Regierung und Gesundheitswesen geladen. 

Digital Health-Diskussionsrunde (v.l.): Gottfried Ludewig, Susanne Ozegowski, Stefanie Kemp und Jens Baas (Foto: mednic)

Am deutlichsten stach hier Stefanie Kemp hervor, die als ausgebildete Krankenschwester echte Erfahrungswerte aus dem Klinikalltag mitbringt und sehr eindrucksvoll ihre kürzlich erlebte, eigene Odyssee zwischen Krankenhaus und verschiedenen Fachärzten nach einem chirurgischen Eingriff schilderte. Sie machte deutlich, dass die Prozesse im deutschen Gesundheitswesen auch im Jahr 2023 absolut nicht rund laufen. Gelähmt ist der gesamte Apparat aufgrund fehlender oder mangelhafter Schnittstellen, fehlender Standards, riesigem Bürokratismus und kaum transparenter Zuständigkeiten. Techniker-Chef Jens Baas merkte in diesem Zusammenhang an, dass Transparenz zwar allenthalben offiziell eingefordert werde, doch gewiss auch andere Interessen – die Absicherung von Zuständigkeiten und Jobs – eine wichtige Rolle spielen. Nicht zuletzt bremst auch die vielzitierte „German Angst“ weitere Fortschritte. Der Deutsche wägt lieber ab, als Entscheidungen zu treffen.

Die Deutsche Telekom stellte auf Branchenmesse DMEA ihren TI-Messenger vor. Das Kommunikationstool wurde speziell für das Gesundheitswesen entwickelt. Die Sicherheitsfeatures: Ende-zu-Ende Verschlüsselung sowie eine Zwei-Faktor-Authentifizierung. Die Smartphone-App soll die Kommunikation im Gesundheitswesen vereinfachen. Sie ermöglicht es etwa Pflege-Diensten, in Echtzeit Rückfragen an einen Facharzt zu stellen – etwa, wann ein Patient seine Medikamente braucht. Sie könnte auch für die Dienstplan-Abstimmung oder für Ärzte-Chatgruppen eingesetzt werden.
Das Unternehmen stellte auf der DMEA 2023 auch den TI-Zugang aus der Cloud vor (TI as a Service). Die Telekom liefert den Dienst künftig aus dem Rechenzentrum. Der Konzern adressiert damit auch den stationären Bereich großer Kliniken. Ambulanzen oder Praxen sind bereits heute TI-Kunden der Telekom.

Eloquent skizzierte Susanne Ozegowski die Schritte der Digitalisierungsstrategie des Bundesgesundheitsministeriums. Bei den im Rahmen der Diskussion erwähnten Missständen und Kritikpunkten blieb die Abteilungsleiterin allerdings staatstragend-zurückhaltend, was zwar nachvollziehbar, aber der Sache wenig dienlich war.

Expertenaustausch und Networking im Vorfeld der Berliner DMEA (Foto: mednic)

Nicht nur reden, sondern machen

Unter dem Strich verständigte man sich darauf, dass man unter anderem mit weiteren Automatisierungsschritten, mit Data Analytics & KI sowie mit Datenräumen, die einerseits Datensouveränität bieten, andererseits aber – Obacht! –  „grenzenlose Verknüpfung und Analyse“ ermöglichen, weiter vorwärtskommen kann. Einvernehmen bestand prinzipiell darin, dass es wichtiger ist, baldigst weitere Digitalisierungsschritte zu gehen, anstatt jede Einzelmaßnahme bis ins kleinste Detail zu Tode zu diskutieren. Mit Blick auf einige skandinavische und baltische Staaten als Digitalisierungs-Vorbilder wurde darauf hingewiesen, dass auch dort Fehler gemacht wurden – teils auch zum Schaden der Patienten. Doch hier wie dort ist es oftmals einfacher, seine Laufrichtung zu korrigieren, anstatt stehen zu bleiben.

Die Premiere des Future Health Day ist der Telekom mit einer schlauen Mischung aus „Das können wir“ und „Das sagen die Experten“ klar gelungen. Das Format sollte definitiv fortgeführt werden. Noch ein wenig mehr Mut auch zu kritischen Standpunkten könnte der voraussichtlich in Bonn stattfindenden Fortsetzung guttun.