Mikroimplantaten sollen künftig die Lebensqualität von Menschen mit funktionalen Einschränkungen erhöhen, etwa bei Tinnitus, Querschnittslähmung oder bei Darm-Funktionsstörungen. Die Entwicklungen sollen in die klinische Anwendung überführt werden.
Sie sind gerade einmal daumennagelgroß, können miteinander kommunizieren, reagieren aufeinander. Die Rede ist von einer neuen Generation interaktiver Mikroimplantate, die das BMBF-Innovationscluster „INTAKT“, koordiniert vom Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT), entwickelt hat.
Anders als viele Medikamente wirken Implantate direkt und lokal. Da sie über elektrische Signale funktionieren, haben sie kaum Nebenwirkungen. Ihre Schwachstellen: Kabelverbindungen zwischen Zentralimplantat und Elektroden können brechen, Batterien müssen regelmäßig ausgetauscht werden.
Ziel des vom Bundesforschungsministerium geförderten Forschungsprojekts war es daher, eine neue Generation von aktiven, miteinander vernetzten Mikroimplantaten zu entwickeln, die lebenslang im Körper verbleiben können. Mit dem Fraunhofer IBMT als Verbundkoordinator entwickelten 18 Kooperationspartner aus Wirtschaft, Wissenschaft und dem klinischen Bereich ein Netzwerk aus bis zu zwölf Mikroimplantaten, die drahtlos, in Echtzeit und sicher miteinander kommunizieren.
Betroffene können Implantate selbst anpassen
Über die Kommunikation untereinander hinaus können Patient und Arzt jederzeit auch von außen mit dem Implantate-Verbund kommunizieren. Über Laptop oder Smartphone kann der Betroffene seine eigenen Implantate jederzeit so einstellen, wie es seinen aktuellen Bedürfnissen entspricht.
Für das INTAKT-Verbundprojekt hatten sich die Cluster-Partner drei Anwendungsfelder ausgesucht: die Behandlung von Tinnitus durch Stimulation der Cochlea, die Milderung von Motilitätsstörungen, also die anregende, verzögernde oder koordinierende Wirkung auf die Darmbewegung, sowie die zumindest teilweise Wiederherstellung der Greiffunktion der Hand nach einer Querschnittslähmung.
Bei der Tinnitus-Applikation etwa stimuliert jeweils ein Implantat das Runde Fenster der Cochlea im Innenohr, moduliert so die Aktivitäten im Hörnerv und verrauscht dadurch das Phantomgeräusch, das rund zehn Millionen Menschen in Deutschland den Alltag verleidet. Um gastrointestinale Motilitätsstörungen – Bewegungsstörungen des Magen-Darm-Trakts – zu beheben, wie sie etwa nach Bauchraum-Operationen, bei Querschnittsgelähmten oder Diabetikern vorkommen können, erfassen die strategisch im Magen-Darm-Trakt verteilten Implantate die Aktivität jeweils eines Abschnitts und kommunizieren dieses Wissen an eine zentrale Steuereinheit. Diese wertet die Datenlage aus, motiviert dann die entsprechenden Implantate zur Stimulation der betroffenen Teile des Intestinal-Trakts und bewirkt so einen möglichst störungsfreien Verdauungsprozess.
Mikroimplantat-Netzwerk stimuliert Unterarm
Besonders komplex ist die partielle Wiederherstellung der Greiffunktion. Dafür können die Muskeln des Unterarms von bis zu zwölf Mikroimplantaten stimuliert und so bis zu acht Handbewegungen wiederhergestellt werden. Der Patient kontrolliert die Handbewegung dabei über ein Eye-Tracking-System: Vorab definierte Augen-, Lid- und Kopfbewegungen geben Befehle an die zentrale Steuereinheit weiter, die dann entsprechend das Implantat-Netzwerk orchestriert.
„Mit der Entwicklung eines Implantat-Netzwerks haben wir mehrere Vorteile geschaffen“, erläutert Elektroingenieur Roman Ruff, Gruppenleiter am Fraunhofer IBMT. Einer davon ist die höhere Biostabilität: „Sensoren und Aktoren wurden direkt in das Gehäuse integriert, sodass wir auf empfindliche Kabelverbindungen verzichten konnten.“ Die Implantate interagieren stattdessen über Funk und Infrarot miteinander. Das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS hat für die Implantate einen stark miniaturisierten ASIC (»application-specific integrated circuit«), eine anwendungsspezifische integrierte Schaltung entwickelt, die Biosignale etwa aus dem Armmuskel oder Magen und Darm erfassen und weitergeben und zugleich dazu passende Elektrostimulation initiieren kann.
Batterien werden induktiv geladen
Ein Flaschenhals für Weiterentwicklungen der Hightech-Minis ist die Energieversorgung. Batterien brauchen Platz und müssen regelmäßig ausgetauscht werden. Bei einem Verbund aus Implantaten ist dies besonders aufwendig, da jedes einzelne Gerät je nach Beanspruchung einen unterschiedlichen Energieverbrauch hat. „INTAKT“ setzt auf induktive Ladung. Eine zentrale Steuereinheit liefert dem Implantat-Netzwerk so für 24 Stunden zuverlässig Energie. Diese Basisstation kann der Patient bei den drei aktuellen Anwendungsfeldern entweder als eine Arm- oder Bauchmanschette oder als Ear-Wearable hinter dem Ohr tragen. Für den Notfall ist eine Batterie als Pufferspeicher im Implantat integriert, die ebenfalls regelmäßig induktiv geladen wird.
Weiter Weg zur klinischen Anwendung
Erste präklinische Tests und Probandenstudien haben gezeigt, dass die bislang entwickelten Applikationen funktionieren. Es gilt nun, den weiten Weg zu beschreiten, die Entwicklung in die klinische Anwendung zu überführen und für Patientinnen und Patienten nutzbar zu machen.
INTAKT-Verbundpartner: Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT, Universitätsmedizin Mainz, Universitätsklinikum Heidelberg, Charité-Universitätsmedizin Berlin, Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS, Universität Mannheim, TU Ilmenau, GeSiM Gesellschaft für Silizium-Mikrosysteme mbH, inomed Medizintechnik GmbH, Soventec GmbH, WILDDESIGN GmbH, IL Metronic Sensortechnik GmbH, Glück Engineering GmbH, Würth Elektronik GmbH & Co.KG, VARTA Microbattery GmbH, Heraeus Medevio, CeramTec-ETEC GmbH, CTC advanced GmbH