Medizintechnik: Stark gestörte Lieferketten

Beatmungsgerät in Krankenhaus
Beatmungsgerät in Krankenhaus: Gestörten Lieferketten, verbunden mit deutlichen Kostensteigerungen sowie Versorgungsproblemen, insbesondere bei Elektronikkomponenten (Foto: nenovbrothers/123rf.com)

Laut einer aktuellen Studie wirken sich die weltweit anhaltenden Lieferkettenprobleme auch auf die deutschen Medizintechnikhersteller massiv aus. Die Befragung verdeutlicht, wie viele Firmen betroffen sind und wie die Situation entschärft werden kann.

In der Medizintechnik läuft es alles andere als rund: In einer aktuellen Untersuchung der H&Z Unternehmensberatung in Kooperation mit dem Industrieverband Spectaris berichten mehr als drei Viertel der Befragungs- und Interviewteilnehmer von stark gestörten Lieferketten, verbunden mit deutlichen Kostensteigerungen sowie Versorgungsproblemen, insbesondere bei Elektronikkomponenten. Viele Ingenieure werden benötigt, um alternative Komponenten und Lieferanten zu finden und Produktdesigns zu verändern, da die bisherigen Bauteile nicht verfügbar sind. Der Bedarf an schneller Nachentwicklung steigt massiv an.

Um diesen Herausforderungen zu begegnen und Verzögerungen bei der Einführung von Neuprodukten zu vermeiden, setzen Hersteller auf erprobte Maßnahmen, aber auch auf neue Wege. „Zwei Bälle gleichzeitig in der Luft halten zu müssen, Produkte neu entwickeln und gleichzeitig Bestandsprodukte optimieren und pflegen, kann Entwicklungsabteilungen und damit Innovationen ausbremsen. Die Konzentration auf Kernprodukte, die Einführung agiler Entwicklungsmethoden, Outsourcing oder die Etablierung dedizierter Teams zur Umsetzung von Produktpflege sowie Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen, genannt Corrective and Preventive Action (CAPA), können helfen, diesen Bremsklotz zu lösen und die Entwicklungsgeschwindigkeit zu steigern“, erläutert H&Z-Berater Hans-Martin Lauer. Auch müsse die derzeitige Art der Organisation und Steuerung von Lieferketten überdacht werden.

Entkopplung von Hard- und Software

Der Report zeigt, dass Konzepte wie Demand Planning und Sales and Operations Planning (S&OP) weitere Lösungsansätze sein können. Diese Prozesse erfordern häufig eine deutliche Anpassung der Steuergrößen und Steigerung der Planungsqualität und können nur durch eine systematischere Synchronisation von Vertrieb, Einkauf und Produktion erreicht werden. Auch die Stellhebel in der organisatorischen Resilienz, dem sogenannten Resilience Framework, sollten genutzt werden. Dazu zählen beispielsweise das Lieferanten- und Vertrags-Risikomanagement sowie das Produktlebenszyklus-Management (PLM), wo gerade bei langwierigen Produktentwicklungen stärker auf Bauteilrisiken geschaut werden sollte. Mit der wachsenden Bedeutung von Daten wird auch die Entkopplung von Hard- und Software immer wichtiger: Beides muss technisch zusammenpassen, aber nicht zwangsläufig gemeinsam entwickelt werden.

Hemmschuh Medizinprodukteverordnung

Neben den Lieferkettenschwierigkeiten stellt die neue europäische Medizinprodukteverordnung Medical Device Regulation (MDR) eine weitere Bremse für Neuentwicklungen dar. „Nicht nur diese Untersuchung, auch unsere gemeinsame Umfrage mit dem DIHK und dem Branchencluster Medical Mountains im vergangenen Winter kam schon zu dem Ergebnis, dass die MDR extrem innovationshemmend ist, nicht zuletzt, weil sich der (Re-)Zertifizierungsprozess auf jetzt durchschnittlich eineinhalb Jahre verlängert hat. Die Zulassung von Medizinprodukten dauert viel zu lange, die Konformitätsbewertungsverfahren sind massiv teurer geworden “, erläutert Dr. Martin Leonhard, Vorsitzender des Spectaris-Medizintechnikbereichs. „Wir freuen uns darüber, dass die Politik den durch die MDR geschaffenen, nicht zweckmäßigen Bürokratismus zunehmend erkennt und über einen verlässlichen Rechtsrahmen nachdenkt, der fördert und nicht blockiert. Aber die Zeit des Zögerns ist vorbei, jetzt muss schnell etwas passieren“, unterstreicht Leonhard.