Eine zielführende Videosprechstunde abzuhalten, ist alles andere als trivial. Ein Seminar, in dem Medizinstudierende bisher das direkte Patientengespräch mit versierten Schauspielern trainiert haben, soll künftig auch als Video-Sprechstunde fest im Lehrplan angeboten werden. Das ist die Folge des Erfolgs der wegen der Corona-Pandemie stattgefundenen Videoveranstaltung im Sommersemester.
Für eine gute Videosprechstunde genügt es keinesfalls, ein Notebook mit Kamera aufzubauen und ansonsten alles so zu machen, wie es in der normalen Sprechstunde ebenfalls der Fall wäre. Das geht ja auch gar nicht, wenn man an Untersuchungen denkt, die der Arzt oder die Ärztin am Körper direkt vornehmen muss. Statt bestimmte Körperpartien abzutasten, muss der Mediziner alles erfragen und den Patienten dazu bewegen, seine Symptome möglichst genau und detailliert zu schildern. „Außerdem müssen die jungen Leute versuchen, ihren Patienten ebenso wie in der echten Sprechstunde das Gefühl zu vermitteln, dass sie für sie da sind, dass sie bei ihnen sind. Das geht beispielsweise nur, wenn sie ganz bewusst in die Kameralinse schauen statt auf den Computerbildschirm“, sagt Fabio Lizzi, Studienmanager der Medizin, der an der Klinik für Innere Medizin IV.
Härtetraining am PC
Speziell geschulte Schauspieler üben das mit den Studierenden. Sie streuen außerdem gezielt Irritationen und Verhaltensmuster ein, die die angehenden Ärzte vergessen lassen, dass es sich hier um simulierte Gespräche handelt. Eine Szene aus dem Kommunikationstraining im nun endenden Sommersemester ist Fabio Lizzi besonders hier in Erinnerung geblieben: „Der ‚Patient‘ saß vor der Kamera des Computerbildschirms und hat dem Medizinstudenten, der vor seinem eigenen Laptop saß, seine Situation per Videosprechstunde geschildert. Dabei klagte er über Herz-Kreislauf-Beschwerden und sprach über seine derzeitige Situation: drohende Arbeitslosigkeit, daraus resultierenden Stress, familiäre Belastungen. Und ganz unvermittelt greift er neben sich zur Bierflasche und nimmt einen kräftigen Schluck“, so Lizzi. Ziel war es zu sehen, wie der Student darauf reagiert.
Derartige Seminare bietet die Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes bereits seit 2007 unter dem Begriff „Homburger Kommunikations- und Interaktionstraining (HOM-KIT)“ als Wahlfach im Medizinstudium an. Im nun endenden Sommersemester hat die Corona-Pandemie die Verantwortlichen dazu veranlasst, aus der Not eine Tugend zu machen. Gezwungenermaßen wurde aus der Präsenzveranstaltung eine Online-Sprechstunde. Und das Feedback der insgesamt 69 teilnehmenden Studierenden ist eindeutig: „Ja, wir möchten gerne beide Formate, Präsenz- und Videosprechstunde, weiter behalten und üben“, sagt Psychologe Roberto D’Amelio, der das HOM-KIT-Curriculum mitbegründet und das Konzept zur Durchführung des Online-Trainings Videosprechstunde erarbeitet hat, die Reaktion der Studentinnen und Studenten.
Durch Training richtig reagieren
„Das sind lauter kleine Bühnen“, so Urban Sester, der als Lehrbeauftragter der Klinik für Innere Medizin IV einer der verantwortlichen Professoren für die Simulations-Sprechstunde ist. Daneben sind noch viele weitere ärztliche und psychologisch tätige Kollegen aus vielen Fachabteilungen des Uniklinikums eingebunden, so dass die Studierenden mit immer neuen, vielfältigen medizinischen Feldern konfrontiert werden. „Und auch das Drumherum ist wichtig“, führt Urban Sester weiter aus. „Der Hund rennt ständig durchs Bild, oder durchs geöffnete Fenster dringt Baulärm herein und stört das Gespräch“, nennt er weitere Beispiele, die die professionellen Schauspieler für manche Gesprächssituationen vorbereitet haben. Hier können die Lehrenden dann sehen, wie die Studierenden auf solche Situationen reagieren und ob sie die Schauspieler-Patienten beispielsweise bitten, das Fenster zu schließen oder den Hund von jemand beaufsichtigen lassen, während Arzt und Patient miteinander sprechen. Solche scheinbaren Nebensächlichkeiten sind wichtig für ein konzentriertes und gelingendes Patientengespräch.
Die Gespräche laufen meist so intensiv und authentisch ab, dass die Studierenden nach einigen Minuten gar nicht mehr bewusst vor Augen haben, dass ein Schauspieler vor ihnen sitzt und kein echter Patient. Die Schauspieler werden intensiv auf ihre Rolle vorbereitet und sprechen ihre Vorgehensweise auch mit den UKS-Medizinern ab, damit sie auch medizinisch fundiert ein Leiden vorspielen können. Da keine „echten“ Patienten in den Videosprechstunden sitzen, können die Studenten die Szene mit dem Schauspieler erneut durchspielen und beispielsweise Gesprächssituation einfach wiederholen.
Videosprechstunde wichtige Option
Neben den Videosprechstunden bleiben auch die direkten Sprechstunden ein wichtiges Übungsfeld. Was ein Arzt unmittelbar sieht, spürt und hört, wenn ein Patient vor ihm sitzt, kann ein Computerbildschirm mit Kamera und Mikrofon nicht ersetzen. „Unter den gegebenen Umständen kann eine gut durchgeführte Videosprechstunde aber eine sehr sinnvolle Alternative zum Arztbesuch vor Ort sein“, erklärt Fabio Lizzi. „Mit Video-Sprechstunden hätten die Ärzte ein Mittel, sich um Grippepatienten zu kümmern, ohne dass die Wartezimmer überfüllt sind und die Ansteckungsgefahr – auch mit Corona – damit steigt.“