„Künstliche Intelligenz revolutioniert klinische Diagnostik“

Das Universitätsklinikum Essen ist ein Vorreiter der Digitalisierung. Der Umbau zum Smart Hospital ist in vollem Gange. Wir sprachen mit Professor Dr. Jochen A. Werner, Ärztlicher Direktor und Vorstandvorsitzender des Universitätsklinikums Essen über künstliche Intelligenz und Robotik im Krankenhaus. Im Gespräch mit mednic.de erläutert er, warum die smarte Klinik kommt – und was die Ärzte dazu sagen.

Mednic.de: Herr Professor Werner, Sie wollen das Uniklinikum Essen in den nächsten vier Jahren zum Smart Hospital umbauen. Der Begriff „smart“ wird derzeit ja etwas überstrapaziert. Was genau meinen Sie damit?

Werner: Mit Smart Hospital meine ich das vernetzte, digital gelenkte, „intelligente“ Krankenhaus, in dem die Handlungen, Befunde und Maßnahmen des medizinischen Personals ebenso in eine elektronische Krankenakte einfließen, wie die über medizinische Geräte generierten Daten. Hinzu kommen ein digital unterstütztes Call Center und die Anbindung eines sektorenübergreifenden Telemedizinnetzes. Das Smart Hospital Essen wird zudem einen App Store, ein Robot-Center, eine Abteilung für 3-D-Druck und ein Data Warehouse umfassen. Eine ganz besondere Rolle wird kognitiven Computersystemen zukommen, mit verbreiteter Anwendung von Künstlicher Intelligenz zunächst zur Erleichterung repetitiver Vorgänge und ebenso im Kontext von Musteranalysen diagnostischer Fächer.

Mednic.de: Können Sie konkreter werden?

Werner: Ein hervorragendes Beispiel ist die radiologische Diagnostik. Künstliche Intelligenz und erfahrene Radiologen bieten im Zusammenwirken die aktuell höchste diagnostische Qualität. Es zeichnet sich ab, dass zuerst ein Computer die radiologischen Aufnahmen beurteilt und erst dann ein Radiologe zur endgültigen Befunderstellung daraufschaut. In fünf, spätestens zehn Jahren wird es soweit sein. Michael Forsting, Direktor unserer Radiologischen Universitätsklinik, treibt das gerade mit seinem Team maßgeblich voran. Kognitive Computersysteme werden natürlich ebenso in zahlreiche andere diagnostische Verfahren Einzug erhalten, wie zum Beispiel die Pathologie oder die Differentialdiagnostik von Veränderungen der Haut und Schleimhaut. Künstliche Intelligenz wird die klinische Diagnostik revolutionieren. Selbst in der Pflege denken wir über den Einsatz nach. Unsere Pflegedirektorin Andrea Schmidt-Rumposch wird im Februar 2018 bei der Essener Konferenz Emerging Technologies in Medicine mögliche Anwendungsgebiete intelligenter Robotersysteme auch im Bereich der Pflege vorstellen.

Jochen Werner
Ärztlicher Direktor Werner: „Wesentlich bessere Prozessabläufe, die dem Patienten Erleichterungen bringen“ (Foto: Universitätsklinikum Essen)

Mednic.de: Und die Patienten sollen sich darüber freuen?

Werner: Auch wenn es sich zunächst widersprüchlich anhören mag und viele mit Smart Hospital eine unpersönliche Digitalisierung verbinden mögen – die Patienten sollen das Smart Hospital als Ort persönlicher und warmherziger Zuwendung mit spitzenmedizinischer Behandlung erleben. Die Patientensicherheit soll gesteigert und medizinisches Personal durch gezielte Entlastung wieder mehr in den direkten Kontakt zu den Patienten gebracht werden.

Schon heute steht der Roboter am OP-Tisch

Mednic.de: Das klingt aber wolkig.

Werner: Wir haben heute schon erste Beispiele dafür, die zeigen, dass die neuen Technologien nicht zwangsläufig dem Patienten das Gefühl geben, von Robotern abgefertigt zu werden. In der Chirurgie sind bereits Roboterassistenzsysteme im Einsatz, insbesondere bei der Behandlung des Prostatakarzinoms. In Deutschland wurde im Jahr 2015 jeder zweite Patient, dem krebsbedingt die Prostata entfernt wurde, mit dem da Vinci Robotik-System operiert. In den USA liegt die Quote seit 2014 bei über 90 Prozent. Schritt für Schritt dürften die Anwendungsgebiete in der roboterassistierten Chirurgie ausgeweitet werden. Bald wird es intelligente Robotersysteme geben, die bestimmte Operationsschritte eigenständig vollziehen können.

Wir gehen davon aus, dass die neuen Technologien das medizinische Personal bestmöglich von administrativen Tätigkeiten befreien und es endlich wieder mehr Zeit hat, sich den Patienten zuzuwenden. Hinzu kommen wesentlich bessere Prozessabläufe, die dem Patienten Erleichterungen bringen, etwa durch kürzere Wartezeiten oder verbesserte Planbarkeit. Zudem wird der Einsatz der Künstlichen Intelligenz in all den mustererkennenden Fächern die Diagnostik optimieren und beschleunigen. Die Patienten können rascher der passenden Therapie zugeführt werden, die dann wiederum von einer intensivierten Zuwendung des medizinischen Personals begleitet wird.

Mednic.de: Wo liegen die Hindernisse?

Werner: Der Umsetzung stehen in der Tat unterschiedlichste Herausforderungen gegenüber. So scheinen Elektronische Gesundheitsakte, Datenschutz, Finanzierung und ein immer noch unzureichender Breitbandausbau den heute schon vorhandenen Möglichkeiten und vor allem Notwendigkeiten entgegenzustehen. Jeder Chance werden zwei Risiken entgegengestellt, wie man es in unserem Land der Skeptiker an vielen Stellen beobachtet. Letztendlich aber wird sich bei anhaltender schleppender Fortentwicklung jeder Einzelne dafür entscheiden, seine Daten elektronisch zu sammeln und sie seinen Ärzten zur Verfügung zu stellen. Kliniken müssen sich darauf einstellen, dass die Patienten bei Entlassung nicht nur einen Arztbrief, sondern alle ihre Befunde in elektronischer Form mitnehmen wollen.

»Der Arzt wird sich einem Paradigmenwechsel unterziehen müssen«

Mednic.de: Und die Ärzte? Machen sie mit? Was Sie sagen, nährt ihre Furcht, dass künstliche Intelligenz sie bald ersetzt.

Werner: Es ist nicht die Frage, Ärztinnen und Ärzte arbeitslos machen zu wollen. Die Kombination von künstlicher Intelligenz und ärztlichem Know-how wird noch eine ganze Zeit lang den isoliert eingesetzten kognitiven Computersystemen überlegen sein. Natürlich ruft die aktuelle Digitalisierungsoffensive bei so manchem Arzt Skepsis, Zurückhaltung und auch Ablehnung hervor. Aber der Arzt wird sich ohnehin einem Paradigmenwechsel unterziehen müssen. Er wird künftig viel weniger als Wissensträger gebraucht. Das Wissen steht im Netz zur Verfügung. IBM-Watson, Dr. Google und diverse andere Konzepte werden Wissensanalysen anbieten. Der Arzt muss das Wissen seinem Patienten erläutern, ihn beraten und individuelle Gesundheitskompetenzen stärken. Sich der Digitalisierung und ihren Folgen zu verschließen, wird nicht von Bestand sein. Wir müssen die künftigen Chancen erkennen und viel stärker in Fähigkeiten investieren, die Maschinen nicht so schnell reproduzieren können. Moral, Kreativität, Erfindungsgabe, Empathie und gesunder Menschenverstand gehören dazu. Hierzu muss jedoch noch sehr viele Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit geleistet werden. Deshalb investieren wir als Universitätsmedizin Essen nicht nur in Krankenversorgung und Forschung, sondern auch in die digital unterstützte Lehre. Über ein Investitionsprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen können wir künftig immer mehr auf digitale Technologien auch in der studentischen Ausbildung setzen. Daneben müssen die Professoren die Studierenden schon heute in die aktuell ablaufenden, digital basierten Um- und Neustrukturierungsprozesse der Kliniken einbeziehen. Wir können nicht warten, bis die Approbationsordnung all diese Ansätze ins Ausbildungskonzept eingearbeitet hat.

Mednic.de: Herr Professor Werner, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

(in Kooperation mit Technology Review)