Knochenbrüche: Smartes Implantat für schnellere Heilung

Ein intelligentes Implantat soll künftig nach einer OP die Heilung von Knochenbrüchen überwachen und bei Fehlbelastung warnen. Wächst ein Knochen falsch zusammen, soll der smarte Helfer sogar mit Bewegung gegensteuern.

Eine Forschergruppe der Universität des Saarlandes unter Leitung des Unfallchirurgen Tim Pohlemann will ein solches Implantat entwickeln. Mediziner, Materialforscher, Ingenieure und Informatiker arbeiten dafür zusammen. Neuartige Materialien sollen komplizierte Brüche schneller und besser heilen lassen. Gefördert wird das Vorhaben von der Werner Siemens-Stiftung mit acht Millionen Euro.

Knochenbrüche sind häufig langwierig. Das gilt insbesondere für Unterschenkel- und Trümmerfrakturen, oft Folge eines Autounfalls. „Nach der Operation, bei der die Bruchstücke mit einer Schiene verschraubt werden, wissen wir heute lange Zeit nur wenig über den Verlauf der Heilung. Wir können auch nicht aktiv eingreifen. Erst nach Wochen gibt ein Röntgenbild Einblick, ob der Knochen gut verheilt und ob sich neues Knochengewebe gebildet hat“, sagt Professor Tim Pohlemann, Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Universitätsklinikums des Saarlandes. 

Behandlungskosten senken

Gemeinsam mit den anderen Wissenschaftlern will Pohlemann die Therapie solch komplizierter Knochenbrüche revolutionieren. Das könnte den Heilungsprozess beschleunigen und gleichzeitig Behandlungskosten senken. „Neben den Schmerzen und den massiven Einschränkungen, die ein solcher Bruch mit sich bringt, kann die Therapie im ungünstigen Fall schnell Kosten in sechsstelliger Höhe verursachen“, so Pohlemann. Ein speziell auf die einzelnen Patienten zugeschnittenes Implantat soll deshalb nach der Operation ohne Weiteres automatisch Informationen darüber liefern, wie die Bruchstelle verheilt, und außerdem gezielt und aktiv die Knochenheilung positiv beeinflussen, indem es sich von selbst nach Bedarf bewegt oder versteift.

Stimulation für schnellere Heilung

„Wir haben in Vorstudien herausgefunden, dass Frakturen schneller heilen, wenn die Bruchstelle durch Bewegung stimuliert wird. Unsere Vision ist – salopp gesagt – ein Implantat, das Tag und Nacht die optimale Krankengymnastik macht und so den Knochen schneller und besser heilen lässt“, erklärt Pohlemann. Das Implantat soll zum Beispiel warnen, wenn der Knochen zu stark belastet wird. Das Team um Professor Pohlemann arbeitet hierfür an der Universität des Saarlandes zusammen mit dem Ingenieur Professor Stefan Diebels und dessen Arbeitsgruppe auf dem Gebiet der Technischen Mechanik, mit dem Informatiker Professor Philipp Slusallek und seinem Team an Uni und am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) sowie Spezialisten für intelligente Materialsysteme um Professor Stefan Seelecke an Uni und Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (ZeMA).

Prototyp in fünf Jahren

Bis ein solches Implantat zur Verfügung steht, wird es allerdings noch dauern. In spätestens fünf Jahren soll ein Implantat-Prototyp entwickelt sein. Dazu kombinieren die Forscher Materialtechnik, Künstliche Intelligenz und medizinisches Know-how. Unterschenkelfrakturen, als bekannt komplexe Verletzung, dienen als Versuchsfall. So arbeiten die Forscher bereits seit Längerem daran herauszufinden, wie genau sich nach einer Fraktur die Belastung beim Gehen auf die Heilung auswirkt. Dazu erfassen sie mit Sensor-Einlegesohlen über lange Zeit bei jedem Schritt von Patienten 60 verschiedene Parameter. In langen Versuchsreihen sammeln sie Daten von Knochen, die erst gebrochen und dann vielfältig belastet werden. Nicht zuletzt werten die Wissenschaftler Computertomographien aus.

Herausfinden wollen die Forscher vor allem, was bei Belastung im Frakturspalt passiert. „Wenn wir wissen, wie die Lastverteilung im spezifischen Bruch sein wird, welche Kräfte hier wirken, können wir berechnen, wie das Implantat für die individuelle Frakturgeometrie aussehen muss, oder auch, wie viele Schrauben tatsächlich an welcher Stelle notwendig sind“, sagt Professor Stefan Diebels. Aus den so gewonnenen Daten werden mit Methoden Künstlicher Intelligenz und maschinellen Lernens Belastungsmuster erstellt, anhand derer die Wissenschaftler Rückschlüsse auf Heilung oder Störungen ziehen wollen. „Ziel ist es, die individuelle Fraktur berechenbar zu machen und die optimale Therapie für jeden Patienten und jede Patientin zu ermöglichen“, so Professor Philipp Slusallek.

Die Implantate sollen aus intelligentem Material Nickel-Titan (Nitinol) hergestellt werden.  Haarfeine Drähte aus dieser für den Körper ungefährlichen Legierung werden auch künstliche Muskeln genannt und können sich mithilfe elektrischer Signale exakt bewegen. „Von allen Antriebsmechanismen haben diese Muskeldrähte die höchste Energiedichte und können auf kleinem Raum kraftvolle Bewegungen ausführen“, so Professor Stefan Seelecke, der die Implantate gemeinsam mit seinem Team entwickelt. Sensoreigenschaften sollen automatisch integriert sein. „Die Drähte liefern alle Daten. Mit ihren sensorischen Eigenschaften können wir sie einsetzen, um die Bruchstelle gezielt, autonom und smart durch Bewegung zu stimulieren.“