Forscher entwickeln Alternative zu 24-Stunden-EKG

Mann mit Smartphone liegt auf Sofa
Bequem auf dem Sofa messen: Gesundheits-App Guardio ermöglicht das Erstellen von Mehrkanal-EKGs ohne Elektroden (Foto: nataali/123rf.com)

Ein Forscher-Team des Fraunhofer IGD hat die Gesundheits-App Guardio entwickelt. Die Gesundheits-App könnte künftig das 24-Stunden-EKG als Standardmethode zur Diagnose von Herzerkrankungen ersetzen.

Einem 24-Stunden-EKG kann eine Menge entgehen – nämlich alle Unregelmäßigkeiten, die seltener auftreten. Das zieht für Menschen mit Herzbeschwerden häufig eine langwierige Odyssee bis zur finalen Diagnose und Behandlung nach sich. Dieser diagnostischen Lücke widmet sich ein Forscher-Team des Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD aus Rostock. Die von ihnen entwickelte Gesundheits-App Guardio ermöglicht das Erstellen von Mehrkanal-EKGs ohne Elektroden und kann dazu beitragen, Herzerkrankungen deutlich früher zu erkennen als herkömmliche Methoden.

Die Wissenschaftler optimieren die Technologie hinter Guardio derzeit gemeinsam mit Kardiologen und Rhythmologen des KMG-Klinikums in Güstrow – Anfang 2023 gründen sie mit der Idee ihr eigenes Start-up als Spin-off des Fraunhofer IGD. Nach Abschluss der Medizinproduktezertifizierung, so hoffen sie, findet ihre Technologie dann so bald wie möglich als Digitale Gesundheitsanwendung, über Krankenkassen oder als Tool im Privatzahler-Modell ihren Weg zu den Betroffenen.

Künstliche Intelligenz misst Herzbewegungen

Fraunhofer-Forscher Dr. Marian Haescher und seine Kollegen am Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD in Rostock haben eine Künstliche Intelligenz entwickelt, welche Herzbewegungen messen, daraus Informationen zur Herzgesundheit ableiten und unterschiedlich darstellen kann. Wie diese KI mit Daten versorgt wird, ist flexibel. Eine Möglichkeit sind die in jedem Smartphone verbauten Beschleunigungssensoren – die Gesundheits-App Guardio leitet ihre Nutzer Schritt für Schritt durch eine Eigenmessung der Herzaktivitäten. Diese dauert gerade einmal 30 Sekunden und ist bequem und vor allem ohne das Kleben von Elektroden möglich. Damit ist eine wiederholte Messung über einen längeren Zeitraum oder eine punktgenaue Momentaufnahme möglich – etwa beim Auftreten von Symptomen wie Kurzatmigkeit oder Herzrasen. Damit schafft das Entwickler-Team erstmals eine unkomplizierte Möglichkeit, kurzfristig und verlässlich die eigene Herzgesundheit zu überwachen. 

Diagnostische Hoheit bleibt bei Medizinern

Das Ziel der Neuentwicklung ist allerdings nicht die Möglichkeit zur Heimdiagnose, wie Haescher betont. Deshalb „übersetzt“ das Programm die gesammelten Daten in ein Standard-EKG, so dass Kardiologen die Auswertung übernehmen können, denn „die diagnostische Hoheit bleibt immer bei den Medizinern“. Dennoch schließt Guardio eine entscheidende Lücke in der Diagnostik, wie auch Prof. Dr. med. Dietmar Bänsch, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Rhythmologie im KMG Klinikum in Güstrow, bestätigt: „Eine jederzeit schnell zugängliche Aufzeichnung von Mehrkanal-EKGs, wie sie Guardio ermöglicht, wäre der absolute Durchbruch in der Diagnostik von Herzrhythmusstörungen.“

Tool für asymptomatische und symptomatische Patienten

Denkbar ist der Einsatz der Technologie aber auch an Inkubatoren für Neugeborene, denn durch die Datenerfassung per Doppler-Radar erfolgt das Aufzeichnen der Herzbewegungen in diesem Fall kontaktlos. Selbst jede Smartwatch wäre heutzutage durch die standardmäßig verbauten Sensoren in der Lage, ein EKG aufzuzeichnen, gibt Informatiker Haescher zu. Allerdings mit einem entscheidenden Manko: „Smartwatches könnten lediglich ein Einkanal-EKG aufzeichnen, unsere Auswertungen hingegen haben den gleichen Aussagewert wie ein Mehrkanal-EKG und können damit deutlich mehr Herzerkrankungen erkennen.“ Das bestätigt auch die Kardiologin Dr. Grit Nonnemann: „Ich halte Guardio für ein sehr gutes Tool, um asymptomatische Patienten herauszufiltern, die so vor Hirninfarkten bewahrt werden können und um bei symptomatischen Patienten Rhythmusstörungen ohne weitere Hilfsmittel zu verifizieren.“