Digitalisierung: Herr Waldbrenner, was läuft da schief?

Michael Waldbrenner
Michael Waldbrenner ist Geschäftsführer Telekom Healthcare Solutions. (Foto: Deutsche Telekom AG)

Michael Waldbrenner, Geschäftsführer Telekom Healthcare Solutions, ordnet im mednic-Gespräch ein, mit welchen Fallstricken die Akteure im Gesundheitswesen derzeit bei der Digitalisierung kämpfen. In puncto Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) mahnt er, dass bei vielen Projekten die Frage der Anschlussfinanzierung nicht geklärt sei.

mednic: Aus den deutschen Krankenhäusern, aber auch von Arztpraxen hören wir immer wieder Aussagen wie ‚Wir ersticken in Bürokratie und Dokumentationsaufgaben‘. Die Digitalisierung soll dabei doch alles besser machen. Herr Waldbrenner, was läuft da schief?

Michael Waldbrenner: Das größte Problem ist, dass neben den digitalen Lösungen – wenn auch nur übergangsweise – oft auch die analogen Lösungen weiter genutzt werden. Zudem werden bürokratische Prozesse nicht besser, wenn diese 1:1 in die digitale Welt übertragen werden. Insgesamt ist der Nachholbedarf bei der Digitalisierung sehr hoch. Und damit müssen sowohl Kliniken als auch die Industrie neben der Pandemie und den Rohstoffkrisen zurzeit sehr viel stemmen.

mednic: Die Einführung neuer digitaler Prozesse in Kliniken und Arztpraxen mag langfristig eine Entlastung bringen. Aber, wenn das Personal im Dauerstress ist und die Arbeitsabläufe extrem eng getaktet sind – wo soll da die Zeit herkommen, die für die Arbeit mit neuen Technologien gerade in der Anfangsphase notwendig ist?

Michael Waldbrenner: Diese Frage ist absolut berechtigt und hier gibt es keine zufriedenstellende Antwort. Fakt ist: Kliniken und Industrie müssen da gemeinsam durch. Das geht konstruktiv nur Hand in Hand. Gegenseitige Schuldzuweisungen bringen uns nicht weiter. Wir arbeiten alle daran, dass wir die Versorgung der Patientinnen und Patienten verbessern. 

“Wir müssen zwingend über den Tellerrand schauen und von anderen Ländern lernen.”

Michael Waldbrenner

mednic: Die elektronische Patientenakte (ePA) war das Vorzeigeprojekt des früheren Bundesgesundheitsministers Jens Spahn. Jetzt ist die ePA seit über einem Jahr da, aber die Zahl der tatsächlichen Nutzer ist immer noch äußerst bescheiden. Was muss ihrer Meinung nach geschehen, damit die ePA zum echten „Werkzeug“ wird?

Michael Waldbrenner: Wir müssen noch konsequenter die Patientinnen und Patienten in den Fokus stellen. Denn: Was nicht einfach ist, wird nicht genutzt. Vieles ist bei ePAs heute nach wie vor zu kompliziert. Die ePA muss kontinuierlich weiterentwickeln werden. Zum Beispiel die Bedienung oder die Nutzeroberfläche. Zudem muss der Zugang zur Akte leichter sein. Zurzeit ist der Identitätsnachweis für die ePA-Nutzung eine Hürde. Digitale Identitäten bieten künftig mehr Komfort und Sicherheit. Besonders wichtig: Die Akte muss den Patientinnen und Patienten medizinischen Nutzen bringen und gleichzeitig die Daten schützen. Ziel muss sein, dass Patientinnen und Patienten selbst bestimmen, was mit ihren Daten passiert und wer diese sehen kann. Wenn wir das schaffen, bin ich mir sicher, dass sich die Akte durchsetzen und uns allen helfen wird.

mednic: Die im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) zur Verfügung gestellten Gelder werden inzwischen ausgezahlt. Die Telekom Healthcare Solutions begleitet viele Projekte. Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?

Michael Waldbrenner: Die vielen parallel umzusetzenden Projekte setzen Kliniken und Anbieter gleichermaßen unter Druck. Ausschreibungen wurden teilweise sehr schnell gemacht. Und darunter hat die Qualität gelitten. Ich befürchte, dass manche Lösungen die notwendige Digitalisierung nicht forcieren werden. Zudem stellt sich bereits jetzt die Frage nach der Anschlussfinanzierung für den Betrieb der Lösungen. Das ist problematisch. Mich macht auch nachdenklich, dass das erste Jahr fast hinter uns liegt und einige Bundesländer die Bescheide für die Fördergelder noch nicht verschickt haben. Damit ist die Zeitvorgabe für die Umsetzung kaum noch haltbar. Auf der anderen Seite erlebe ich, dass der notwendige Druck die Digitalisierung voranzutreiben nicht mehr hoch genug ist. Und die Digitalisierung muss endlich kommen, damit das deutsche Gesundheitswesen besser wird und die Menschen besser versorgt werden. Der Wissenschaftsrat beklagt in seinem aktuellen Positionspapier große Defizite bei der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens. Insbesondere im internationalen Vergleich. 

mednic: Woran liegt das und wie können die Probleme nachhaltig gelöst werden?

Michael Waldbrenner:
 Wir können die Versäumnisse der vergangenen Jahre nicht im Sprint aufholen. Das ist ein Mittelstrecken-, wenn nicht gar ein Langstreckenlauf. Dazu bedarf es eines Masterplans, zudem auch die Vernetzung zwischen Akteuren über Sektoren- und Einrichtungsgrenzen gehört. Was bringt es Patientinnen und Patienten zum Beispiel, wenn die Krankenhäuser komplett digitalisiert sind, aber die Hausärztinnen und -ärzte und die Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten die Daten respektive Befunde nicht nutzen können und dürfen. Und auch die Patientinnen und Patienten müssen einfach auf die Daten zugreifen können. Dazu muss das Thema Digitale Identitäten geklärt werden. Viele Länder haben bereits digitale Verwaltungen und Gesundheitssysteme. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung belegt Deutschland beim Thema Digital Health nur Platz 16 von 17 untersuchten Ländern. Das ist besorgniserregend. Deshalb müssen zwingend über den Tellerrand schauen und von anderen Ländern lernen. Wir, die Telekom Healthcare Solutions, machen das bereits.