Digitale Gesundheit: Microsoft bringt sich in Stellung

Seit knapp einem Jahr ist Till Osswald für Microsoft Deutschland im Bereich Healthcare aktiv. Im Rahmen des Microsoft Innovation Summit for Healthcare in München zeigte das Unternehmen nun das bisher Erreichte, nannte die weiteren Ziele und erläuterte, welche Unterstützung Microsoft Akteuren im Gesundheitswesen bei der Digitalisierung bieten kann. 

von Peter Marwan

Till Osswald hat im Frühsommer 2018 als Senior Industry Solution Executive Director Healthcare Industry bei Microsoft Deutschland übernommen. Zu seinem neuen Arbeitgeber brachte er bereits Expertise im IT-Geschäft im Gesundheitswesen mit. Seine Ziele bei Microsoft sind jedoch andere: „Wir wollen eine Plattform sein, wobei die Plattform eine Community umfassen und im Sinne eines Marktplatzes verstanden werden soll. Als solche stellen wir die technologische Kompetenz, um von und mit Partnern gemeinsam entwickelte Lösungen am Markt zu positionieren“, erklärt Osswald gegenüber mednic.de am Rande des Microsoft Innovation Summit for Healthcare Anfang Juni in München.

Die Veranstaltung bestätigt das Konzept: Trotz einer wahren Flut von Veranstaltungen zur Modernisierung des Gesundheitswesens durch IT und die dadurch auf die Verantwortlichen zukommenden Aufgaben hatten sich über 200 Besucher zu der Veranstaltung angemeldet – vornehmlich aus Krankenkassen und Krankenhäusern. Das Interesse der Teilnehmer richtete sich vor allem auf die Frage, wie Deutschland – und speziell ihre Organisationen – endlich mit der Digitalisierung vorankommen können. Dabei ging es nicht um die öffentlich diskutierten Großprojekte, sondern vielmehr um konkrete Maßnahmen, die zeitnahe Erfolge bringen.

Deutschland nur Mittelmaß

„Im internationalen Vergleich ist Deutschland bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen gesundes Mittelmaß“, berichtet Osswald aus seinen Erfahrungen. „Aber Deutschland will sich verständlicherweise nicht mit Mittelmaß zufriedengeben. Das ist auch richtig so. Wohin die Reise gehen kann, sehen wir etwa an den skandinavischen Ländern, aber auch in Österreich“, so der Microsoft-Manager weiter.

Nachholbedarf gibt es Osswald zufolge etwa bei der für Anwendungen im Bereich Telemedizin wichtigen Breitbandversorgung auf dem Land, der Umsetzung von Industrie 4.0 respektive IoT (Internet of Things) im Gesundheitswesen allgemein oder der „teilweise abenteuerlichen IT-Ausstattung von Arztpraxen“. Für notwendig hält er die Modernisierung auch deshalb, weil den entsprechenden Einrichtungen sonst drohe, dass sie völlig den Anschluss verlieren. Denn es stehen neue Umwälzungen bevor.

Neue IT-basierte Geschäftsmodelle in der Medizin

„Outcome based care“, das aktuell im Gesundheitswesen vorherrschende Geschäftsmodell, mit dem Ziel, Mehrwerte für Ärzte, Patienten und Versicherte zu schaffen, hat sich in der Breite durchgesetzt. Es hat im Laufe dieses Jahrzehnts die früher vorherrschende Vorgehensweise „Evidence based care“ abgelöst, bei der sich Anbieter durch reine Produktinnovationen vom Wettbewerb abheben wollten. In der nächsten Dekade stehen Microsoft zufolge nun Predictive Care und Preventive Care im Mittelpunkt. Sie helfen den Beteiligten, sich vom Wettbewerb abzuheben, indem sie „intelligente Lösungen für Endanwender“ bereitstellen. Künstliche Intelligenz (KI), Augmented Reality und Robotics sind dafür die Technologien der Wahl – sei es einzeln oder im Verbund.

Bei Augmented Reality setzt Microsoft auf sein Produkt HoloLens. Einer der Partner aus Deutschland in diesem Bereich ist das Hamburger Unternehmen apoQlar. Mit seiner Software und der HoloLens-Brille von Microsoft ermöglicht es die intraoperative Telekommunikation zwischen Operateur und Spezialisten, wobei beide dasselbe Blickfeld sehen. Zudem kann das Unternehmen auch dabei helfen, Patienten bevorstehende Eingriffe anschaulich zu erklären.

Künstliche Intelligenz in der Medizin

Wesentlich breitere Auswirkungen wird jedoch KI in der Medizin haben. Auf der Veranstaltung in München zeigte Alexander Britz, Head of Digital Business Transformation & Artificial Intelligence bei Microsoft, was sich heute damit bereits machen lässt – in Bezug auf die Medizin vor allem bei der Bilderkennung und der strukturierten Erfassung von gesprochener Sprache. Als Beispiel für die Möglichkeiten der Spracherkennung nannte er ein Projekt mit einer Fast-Food-Kette, die darüber Bestellungen am Autoschalter optimiert.

Alexander Britz, Head of Digital Business Transformation & Artificial Intelligence bei Microsoft, zeigte auf dem Microsoft Innovation Summit for Healthcare, was mit künstlicher Intelligenz heute schon möglich ist und wo er scherpunktmäßig Einsatzbereiche im Gesundheitswesen sieht. (Foto: Microsoft Deutschland)

Einerseits werden die nur schwer verständlichen und oft unklaren Angaben der Kunden erfasst und für die weitere Bearbeitung sinnvoll strukturiert. Andererseits wertet das Unternehmen die Gespräche daraufhin aus, was die Kunden eigentlich wollten, aber vielleicht gar nicht bekommen haben. Damit ergänzt es die Informationen, die ihm über erfolgreiche Bestellungen vorliegen. Es braucht nur wenig Fantasie, um das Szenario auf eine Aufnahmesituation in einem Krankenhaus oder einer Arztpraxis zu übertragen. Kaum mehr Fantasie ist erforderlich, um sich auszumalen, wieviel besser und effizienter der Prozess wird, wenn zusätzlich eine Übersetzungsfunktion integriert wird. 

Der Mensch entscheidet

Wichtig ist Britz aber – so wie Vertretern anderer IT-Firmen auch – dass KI unterstützt, letztlich aber der Mensch die Deutungshoheit behält und entscheidet. Daneben sei Transparenz und Nachvollziehbarkeit unabdingbar. „Modelle liefern von sich aus keine Erklärung, wie sie zu ihrer Entscheidung gekommen sind“, bringt Andreas Kopp, bei Microsoft Deutschland Digital Advisor für die medizinische Bildanalyse mit Hilfe künstlicher Intelligenz, es auf den Punkt.

Eine Möglichkeit nachzuvollziehen, wie die Entscheidung zustande kam, ist es zum Beispiel, die Bildbereiche zu markieren, die für die Entscheidung eine wesentliche Rolle gespielt haben und farblich darzustellen, was darauf von der Software erkannt wurde. Ein Vergleich mit einer Einschätzung von Spezialisten zeigte, dass die Diagnosen in hohem Grad übereinstimmen.

Transparenz beim KI-Einsatz unverzichtbar

„Die Genauigkeit ist die Diskussion der vergangenen fünf Jahre. Inzwischen sind die Berechnungen genau genug. Jetzt geht es darum, die Entscheidungsgründe transparent zu machen“, so Kopp. Dabei betonte Kopp zudem, dass Studien gezeigt hätten, dass die Kombination künstlicher Intelligenz und menschlicher Expertise die besten Ergebnisse bringe. Schließlich gehe es nicht nur darum, ein Bild anzuschauen und richtig zu interpretieren, sondern dann auch Vergleiche anzustellen, Kollegen hinzuzuziehen und die Verantwortung für die getroffene Entscheidung zu übernehmen.

„Die Genauigkeit ist die Diskussion der vergangenen fünf Jahre. Jetzt geht es darum, die Entscheidungsgründe transparent zu machen“, betonte Andreas Kopp, Digital Advisor bei Microsoft Deutschland, auf der Veranstaltung in München. (Foto: Microsoft Deutschland)

Wie Bilderkennung dennoch eine rasche Prozessverbesserung bringen kann, demonstrierte er an einem Projekt in Indien: Dort testet die Welthungerhilfe eine App, mit der Kinder fotografiert und direkt ermittelt wird, ob eine Mangelernährung vorliegt. Das geht wesentlich schneller und ist zuverlässiger als die bisher übliche Prozedur aus Messen und Wiegen. Das hilft der Organisation, ihre Hilfe zu priorisieren und den Bedürftigsten zukommen zu lassen. 

Die erforderliche Rechenleistung für die Analyse kommt dabei aus der Cloud – genauer gesagt von Microsoft Azure. Die Erkenntnis, dass wegen der erforderlichen Rechenleistung und dem hilfreichen Zugriff auf möglichst große Mengen an Vergleichsdaten KI und Cloud untrennbar verknüpft sind, setzt sich auch hierzulande durch. „Deutsche Firmen und Einrichtungen waren bei Cloud sehr zögerlich. Das hat sich geändert. Der Einstieg in die Cloud erfolgt heute oft über die Nutzung von KI“, sagt Osswald. Das gelte sowohl für Anwendungen im Bereich Prognose und der Verbesserung von Prozessen in den Einrichtungen selber, aber auch für unabhängige Softwareanbieter (ISVs) die mit Microsoft zusammenarbeiten und für ihre Produkte auf Microsoft-Technologie zurückgreifen.